TV-Debatte in USA:Zu schrill, zu ehrgeizig, zu schwach

TV-Debatte in USA: Hillary Clinton bei einer Wahlkampfveranstaltung in Washington.

Hillary Clinton bei einer Wahlkampfveranstaltung in Washington.

(Foto: AFP)

In den TV-Debatten ist Donald Trump nicht der einzige Gegner von Hillary Clinton. Als erste Präsidentschaftskandidatin kämpft sie auch gegen Sexismus und unbewusste Vorurteile der Wähler.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Hillary Clinton hat Geschichte geschrieben: Die Demokratin ist als erste Frau von einer großen US-Partei zur Präsidentschaftskandidatin nominiert worden. Dass sie auf diese Weise eine gläserne Decke durchbrochen hat, feierte sie mit einem symbolischen Video auf dem Parteitag, in dem sie mit Mädchen und jungen Frauen zu sehen war. Ihre Botschaft: Ich werde hoffentlich die erste Präsidentin, aber viele werden folgen.

Dass Clinton anders als 2008 ihre Rolle als Frau mehr betont, zeigt auch ihr Slogan "I'm with Her". Den Wählern ist diese Tatsache jedoch eher egal: Nur 29 Prozent gaben in einer aktuellen Pew-Umfrage an, dass die Überlegung "Sie wäre die erste Frau im Weißen Haus" eine wichtige Rolle spielt.

Eines ist aber sicher: Rund um die TV-Debatten wird viel über Clintons Geschlecht debattiert. Das liegt nicht nur daran, dass Donald Trump ein Alpha-Mann ist, der Frauen seit Jahrzehnten beleidigt und dessen Anhänger stolz "Trump that Bitch"-T-Shirts tragen. Experten sind überzeugt, dass die US-Wähler (oft unterbewusst) Vorurteile gegenüber Politikerinnen haben - bis heute glauben 40 Prozent der Amerikaner, dass es für die Gesellschaft besser sei, wenn Männer und Frauen ihre traditionellen Rollen beibehalten.

Welche drei Punkte für Clintons Wahlkampf besonders wichtig sind - und wie sie diese Vorbehalte ausnutzen könnte.

1. Stimme und Auftreten: Nicht schrill, aber selbstbewusst.

Vor welcher Herausforderung Hillary Clinton in der Nacht auf Dienstag und in den beiden weiteren TV-Duellen steht, illustrieren die folgenden Zitate.

Selbstbewusstsein ist für jeden Politiker wichtig, aber Clinton muss aufpassen, dass sie auf Attacken und kritische Fragen von Trump (oder von Moderator Lester Holt) bestimmt, gelassen und - im rechten Moment - mit trockenem Humor reagiert. Der Tenor ist klar: Je ruhiger sie bleibt, umso besser.

Oft fällt das Adjektiv "schrill", wenn es um das Auftreten von Politikerinnen und ganz speziell um Clintons Lachen geht. "Unsere Gesellschaft hat noch nicht akzeptiert, dass Frauen laut werden, um sich durchzusetzen", sagt Ruth Sherman im "Political Junkie"-Podcast. An Trumps Geschreie hätten sich viele nicht nur gewöhnt: Es werde vielmehr positiv als Leidenschaft ausgelegt.

2. Wähler wollen Kandidatinnen mögen und attraktiv finden.

Studien zeigen, dass Frauen in der Politik erst beweisen müssen, dass sie kompetent sind - bei Männern wird dies eher vorgesetzt. Zugleich ist es Wählern und Wählerinnen wichtig, weibliche Politiker zu sympathisch zu finden. "Männer müssen nicht gemocht werden, damit sie gewählt werden", heißt in einem Leitfaden der Barbara Lee Foundation (hier als PDF), deren Ziel es ist, dass mehr Frauen politische Ämter übernehmen.

Die Experten der Stiftung empfehlen den Kandidatinnen, persönliche Geschichten zu erzählen und sich als Teamplayer zu präsentieren - eine Einzelkämpferin wirke zu ehrgeizig oder besserwisserisch. Welch große Rolle Aussehen und Outfit bei Politikerinnen spielen, weiß Hillary Clinton genau: Seit 25 Jahren wird über ihre wechselnden Haarschnitte geredet (mehr über ihre rund um die Uhr verfügbare Friseurin beim SZ-Magazin) und ihr Hosenanzug ist mittlerweile ihr Markenzeichen.

Die Bedeutung der Sympathie ist im Duell Trump vs. Clinton interessant, weil mehr als 50 Prozent der Wähler schlecht über beide denken und ihnen nicht vertrauen. Obwohl die Demokratin als deutlich qualifizierter wahrgenommen wird, liegen beide in den Umfragen nahezu gleichauf - dass die Wähler mit unterschiedlichen Maßstäben messen, könnte eine Erklärung dafür sein, dass Clinton nicht deutlicher führt.

3. Fitness und Stärke spielen eine Rolle.

Lange war die Gesundheit von Hillary Clinton nur ein Thema fürs konservative Talkradio und konspirative Websites à la Breitbart, doch seit ihrem Schwächeanfall bei der 9/11-Gedenkfeier redet plötzlich das halbe Land darüber. Zu Trumps Strategie gehört es, Clinton als "ungeeignet" für das Weiße Haus darzustellen. Ihr fehle es nicht nur an Urteilskraft (obwohl Trump selbst für den Irak-Krieg war, führt er hier stets Clintons "Ja" an), sondern sie sei auch nicht stark genug, um es mit den IS-Terroristen oder China aufzunehmen.

Diese Kritik, die Trump bis zum Wahltag fortsetzen wird, ist zweifellos sexistisch, doch in den vergangenen Wochen konnte er damit Zweifel an Clintons Kompetenz wecken. In der ersten Debatte dürfte es für die 68-Jährige darum gehen, möglichst viele der etwa 100 Millionen Zuschauern davon zu überzeugen, dass sie körperlich fit für das Amt ist, besser vorbereitet ist als der Neuling Trump und zudem keine Scheu vor schwierigen Entscheidungen hat.

Die drei oben genannten Punkte wirken eher unterbewusst, aber sie werden vor allem bei jenen Zuschauern eine Rolle spielen, die noch nicht felsenfest wissen, für wen sie stimmen werden.

Wie Clinton früher Sexismus parierte

Bei den oben angeführten Punkten sind zwei Dinge zu beachten: Erstens ist Clinton den Amerikanern seit Jahrzehnten bekannt (die Sympathiefrage haben viele für sich geklärt) und zweitens hängt viel ab vom Verhalten des männlichen Gegenspielers. Trump hatte es bisher vor allem mit Männern zu tun, die er ausdauernd beleidigte ("Liddle Marco" Rubio, Jeb "Low Energy" Bush, "Lyin' Ted" Cruz) und attackierte. Als er im September abfällig über das Aussehen von Carly Fiorina spottete, schadete ihm das - wenn auch nur kurz.

Spannend ist also die Frage, ob Trump sich als völliger Außenseiter inszeniert und respektlos Clinton attackiert - und wie Clinton darauf reagieren würde. Denkbar ist auch, dass die Demokratin ihn selbst zu reizen versucht (gerade wenn sein Reichtum angezweifelt wird, reagiert Trump dünnhäutig). Dass der Republikaner mit ausladender Gestik redet, könnte bei diesem Zweierduell eher negativ auffallen, glaubt Kommunikationsexpertin Ruth Sherman.

In der Vergangenheit ist es Clinton gut gelungen, die Männer in den Debatten zu kontrollieren und Sexismus zu kontern. Als sie im Jahr 2000 für den Senat kandidierte, machte ihr Gegner Rick Lazio einen Fehler: Er verließ sein Rednerpult, ging zu Clinton hinüber und legte ihr ein Papier hin. Die damalige First Lady blieb gelassen, doch das Bild des großen Lazio, der Clinton bedrängte, wirkte auf viele Zuschauer als unangemessen und bedrohlich (im Video ab 1:20).

Clinton parierte 2008 auch die wenigen flapsigen Sprüche von Obama ("Hillary, du bist nett genug") souverän und in ihren Debatten mit Bernie Sanders verlor sie nie die Kontrolle. Bei Sanders ist es ähnlich wie mit Trump: Er wird schnell laut, was als Leidenschaft interpretiert wird - und er ist seiner Gegnerin öfters ins Wort gefallen, was sie nur mit einem kritischen Blick quittierte. Diese nonverbale Taktik könnte auch bei Trump wirken, wenn dieser zu barsch auftritt.

Für beide Kandidaten werden die drei TV-Duelle ein Balanceakt: Trump wird versuchen, zugleich Polit-Außenseiter als auch Staatsmann zu sein, ohne - beabsichtig oder nicht - als Frauenfeind rüberzukommen. Clinton hingegen muss sich als potenzielle Oberbefehlshaberin präsentieren und auch so auftreten, wie es die US-Gesellschaft von Politikerinnen erwartet.

Jay Newton-Small beschreibt in ihrem Buch "Broad Influence", welche Hürden Amerikanerinnen überwinden müssen, um in Politik und Wirtschaft erfolgreich zu sein. Sie sieht den Mutter-Vergleich gar nicht so negativ: Donald Trump sei ähnlich wie Bernie Sanders jemand, der tolle Dinge vorschlage, die letztlich unbezahlbar und nicht durchsetzbar sein: "Von Frauen wird mehr Pragmatismus und Realitätssinn erwartet."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: