TV-Auftritt von Präsident Sarkozy:Kapitän Todesmut segelt der Wahl entgegen

Nicolas Sarkozy lässt die Franzosen schmoren: Auch in einem Fernsehinterview vermeidet er, sich zum Präsidentschaftskandidaten zu erklären. Dafür kündigt er äußerst unbequeme Maßnahmen à la Gerhard Schröder an. Ist das Verzweiflung oder eine besonders schlaue Taktik?

Lilith Volkert

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy wird zurzeit öfters gefragt, wer aus ihm spricht. "Als wer sind Sie hier?" war am Sonntagabend die erste Frage seines großen Fernsehinterviews. "Als Staatschef", antwortete Sarkozy bestimmend. Etwas anderes möchte er gerade auf keinen Fall sein.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei einem TV-Interview in Paris

Nicolas Sarkozy gibt ein Interview im Fernsehen - als Präsident, nicht als Präsidentschaftskandidat. Dieser Unterschied ist ihm wichtig.

(Foto: REUTERS)

Und so hat er sich mehr als eine Stunde über die wirtschaftliche Lage seines Landes befragen lassen, hat eine Transaktionssteuer und die Erhöhung der Mehrwertssteuer angekündigt sowie die Politik von Gerhard Schröder und Angela Merkel gelobt. Doch was die Franzosen wirklich von ihm hören wollten, hat er nicht gesagt. 80 Tage vor der Präsidentschaftswahl im April hat der Amtsinhaber noch nicht erklärt, dass er erneut antreten will.

Warum er noch nicht in die Rolle des Kandidaten schlüpft, hat Sarkozy schon öfter formuliert: "Ich kann dieses Land nicht in die Situation bringen, dass es endlose Monate einen Kandidaten als Präsidenten hat." Zu ernst seien die Probleme, als dass man sie für den Wahlkampf instrumentalisieren sollte. Bei immer mehr Franzosen schwindet jedoch das Verständnis für diese demonstrativ demütig vorgetragene Begründung. 38 Prozent wünschen sich einer aktuellen Umfrage zufolge, dass Sarkozy seine für Anfang März angekündigte Erklärung vorzieht. Kritiker werten Sarkozys Unwillen sich als Kandidat zu erklären vor allem als Versuch, die äußerst maue Bilanz seiner Amtsjahre herauszuzögern - oder am besten ganz zu verhindern.

Wahlkampf macht Sarkozy trotzdem: Mit seinen im Interview getätigten Ankündigungen reagiert er in weiten Teilen auf den erstaunlich fulminanten Wahlkampfauftakt der Sozialisten am vorvergangenen Wochenende und die Forderungen von deren Spitzenkandidaten Hollande. Dass der Präsident im Interview Fragen zur Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit besonders ausführlich beantwortete, liegt vermutlich daran, dass er auf diesem Gebiet noch eine vergleichsweise hohe Glaubwürdigkeit bei den Franzosen hat.

Trotzdem sehen viele den Präsidenten, der in den Umfragen weit hinter Hollande liegt, auf endgültig verlorenem Posten. Die linksliberale Tageszeitung Libération titelt "Ein verlorener Präsident" - Sarkozy habe selbst nicht überzeugt gewirkt von den Maßnahmen, die er verkündet hat. Das Magazin L'Express sieht Sarkozy - in Anspielung auf den von ihm oft zitierten "Mut" angesichts der schwierigen Wirtschaftslage - in der Pose des "Capitaine Courage", einer Comicfigur aus den sechziger Jahren.

Sarkozy zeigt selbst Zweifel an seiner Wiederwahl

Dass der Staatschef den Franzosen ausgerechnet drei Monate vor der Wahl unpopuläre Maßnahmen wie eine Mehrwertsteuererhöhung und eine verbesserte Flexibilität der Arbeitskosten aufzutischen wagt, sorgt außerdem für großes Erstaunen. "Man wird sehr schnell feststellen, ob Nicolas Sarkozy mit dieser Initiative zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs ein unbedachtes Risiko eingegangen ist oder ob ihm ein entscheidender Coup gelungen ist", heißt es vorsichtig in der konservativen Zeitung Le Figaro. "Der scheidende Präsident versucht, eine besondere Position einzunehmen, die eines Staatsmannes nach dem Vorbild Churchills. Der nicht zögert, Entscheidungen zu treffen, die nicht von allen mitgetragen werden, weil er meint, dass sie im Interesse des Staates sind", schreibt die Zeitung La Croix.

Ist das Mut oder schon Todesmut? Strategie oder Ungeschicklichkeit? Viele Franzosen rätseln über das Gebaren ihres auch früher schon durchaus impulsiven Präsidenten, der inzwischen sogar die eigene Mannschaft verunsichert. Bei einem vertraulichen Gespräch mit Journalisten, das Mitte vergangener Woche bekanntgeworden war, hatte Sarkozy große Zweifel an einem Sieg bei der kommenden Wahl erkennen lassen und laut über die Zeit danach nachgedacht. "Zum ersten Mal in meinem Leben befinde ich mich in einer Situation, in der ich dem Ende meiner Karriere entgegensehen muss", wird er zitiert. Und: "Sie werden mich nicht mehr wiedersehen."

Dass der Medienprofi Sarkozy in einem schwachen Moment sein Innerstes nach außen kehrt, kann sich in Frankreich kaum einer vorstellen - welche Hintergedanken er bei einer solchen Aktion womöglich hatte, auch nicht. Der Schriftsteller Patrick Rambaud, der vor einigen Jahren eine "Regierungschronik von Nicolas I." verfasst hat, ist sich aber sicher: "Falls das eine List sein soll, dann ist es eine idiotische."

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