Tunesische Aktivistin verlässt Femen:Nackter Verrat

Lesezeit: 3 min

Amina Sbouï verlässt am 1. August 2013 das Gefängnis in Sousse. Drei Wochen später tritt sie aus der Organisation Femen aus. (Foto: AFP)

"Bibel, Tora oder Koran, alles der gleiche Mist": Angeblich protestiert Femen gegen alle Religionen. Gegenüber dem Islam zeigen die Oben-ohne-Aktivistinnen aber besonders wenig Fingerspitzengefühl. Wofür und wie Musliminnen kämpfen, kümmert sie kaum. Entsprechend beleidigt reagieren sie auf den Austritt ihrer bekanntesten muslimischen Mitstreiterin.

Von Lilith Volkert

Sorgt Israel allen Ernstes dafür, dass in arabischen Ländern die Hüllen fallen? Genauer: Unterstützt das Land die Organisation Femen, die seit einiger Zeit auch in Tunesien ihre provokanten Oben-ohne-Aktionen startet? Amina Sbouï, die erste und bekannteste Femen-Aktivistin in der arabischen Welt, verlässt die Organisation wieder. Der Grund: Sie konnte, wie sie der Huffington Post sagte, nicht in Erfahrung bringen, wie sich Femen finanziert. "Ich will nicht in einer Bewegung sein, wo es fragwürdiges Geld gibt. Und wenn es aus Israel stammt? Ich will es wissen."

Sbouï, die sich auch Amina Tyler nennt, hatte sich im Frühjahr jenen Frauen angeschlossen, die ihre kurzen Botschaften fast ausschließlich auf ihren nackten Bäuchen und Brüsten transportieren. "Mein Körper gehört mir, und er ist nicht Quelle von irgendjemandes Ehre" war auf einem online veröffentlichten Foto auf der Haut der 19-Jährigen zu lesen. Weil sie das Wort "Femen" auf die Mauer neben einem Friedhof geschrieben hatte, wurde sie wenig später festgenommen. Anfang August kam Sbouï nach zwei Monaten im Gefängnis und massiven Protesten - auch von drei barbusigen westlichen Frauen in Tunis - frei.

"Amina hat Tausende Frauen verraten"

Femen reagiert sarkastisch auf den Verschwörungsverdacht. "Nach langem gespannten Warten nun die Enthüllung: Nein, Femen wird nicht von Israel finanziert!", heißt es auf Twitter. Mit dem Austritt ihrer prominentesten arabischen Mitstreiterin geht Femen weniger souverän um, die Reaktion klingt eher beleidigt.

"Das ist schon ok, sie ist nicht die Einzige, die aufgegeben hat. Aber es ist nicht schön, dass sie Lügen über ihre Mitstreiter verbreitet", schreibt die ukrainische Aktivistin Inna Schewtschenko, die in Frankreich politisches Asyl gefunden hat. Amina habe nicht Femen verraten, sondern Tausende Frauen, die sich für die Kampagne "Free Amina" eingesetzt haben - dank derer sie jetzt frei sei.

Letzteres bestreitet die Tunesierin. Ganz im Gegenteil: Manche Aktionen hätten ihre Situation verschlimmert, Femen hätte sich vorher bei ihren Anwälten erkundigen sollen, sagt sie. Dass Demonstrantinnen etwa vor der tunesischen Botschaft in Paris "Amina Akbar, Femen Akbar" ("Amina ist groß, Femen ist groß") gerufen haben, habe ihr gar nicht gefallen. "Das verletzt viele Muslime und viele Menschen, die mir nahe stehen", sagte Sbouï - die Rufe waren eine Anspielung auf die Lobpreisung "Allahu akbar" ("Gott ist groß"). Sie wolle nicht mit einer islamfeindlichen Bewegung in Verbindung gebracht werden, so Sbouï.

Ist Femen tatsächlich islamfeindlich? Die 2008 in der Ukraine gegründete Bewegung kämpft eigenen Angaben zufolge gegen Zwangsprostitution, Diktaturen jeder Art und die Unterdrückung von Frauen durch Religion. Sie lehnt sowohl Islam als auch Christen- und Judentum ab, "weil alle Religionen Frauen erniedrigen". Dementsprechend keilt sie auch gegen alle: Femen veröffentlicht Bilder halbnackter Frauen in bekannter Brust-Raus-Pose mit dem Kommentar "Bibel, Tora oder Koran, alles der gleiche Mist".

Nachdem Femen für den 4. April 2013 den "Topless Jihad Day" ausgerufen hat - einen Tag des Heiligen Krieges der nackten Brüste also - fragten sich viele muslimische Frauen in sozialen Netzwerken, wer da eigentlich in ihrem Namen spricht. "Es gibt mehr als eine Art frei zu sein!" heißt es auf Twitter unter dem Hashtag #MuslimahPride, und: "Das Kopftuch ist meine Wahl". Die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüsay warf der Organisation vor, muslimische Frauen zu bevormunden und ihnen die Fähigkeit abzusprechen selbst denken zu können.

Andere, wie die Anwältin Bochra Belhaj Hmida, sind der Meinung, dass Femen den Anliegen von Musliminnen in Nordafrika sogar schade, weil sie religiösen Extremisten in die Hände spiele. Tatsächlich lassen sich Feminismus und Frauenrechte leichter als schädlicher Import des Westens verkaufen, wenn man als strenggläubiger Muslim nackte Westlerinnenbrüste vor Augen hat.

"Ich kann Intoleranz nicht tolerieren, ich bekämpfe sie", antwortet Inna Schewtschenko auf den Vorwurf der Islamfeindlichkeit. Sie hatte in der arabischen Welt für Empörung gesorgt, als sie Sätze twitterte wie "Was gibt es dämlicheres als den Ramadan" oder "Was ist scheußlicher als diese Religion". Wenn es um den Islam geht, ist die Unkenntnis vieler Femen-Kämpferinnen offenbar besonders groß und das Fingerspitzengefühl besonders gering ist. Wofür Musliminnen - ob in Deutschland oder anderen Ländern, mit Kopftuch oder ohne - wirklich kämpfen, scheint keine große Rolle zu spielen.

Nacktaktionen der Femen
:Nacktes Fleisch für jeden Zweck

Früher war pubertäres Gebaren ein Privileg der Männer. Jetzt gibt es Femenfrauen, die sich ausziehen, um es allen zu zeigen. Das bringt zwar ein neues Rollenbild ins Spiel, doch die Aktivistinnen geben keine neuen Impulse. Die westliche Öffentlichkeit konsumiert nur achselzuckend einige Oben-Ohne-Bilder mehr.

Von Kia Vahland

Amina Sbouï hat mit dem Feminismus übrigens noch nicht abgeschlossen. Und auch wenn sie Femen in Zukunft den Rücken kehrt, kämpft sie weiterhin mit nackter Haut. Vergangene Woche veröffentlichte sie im Internet wieder ein Foto, das sie mit bloßem Oberkörper zeigt. Sie zündet sich darauf eine Zigarette mit einem Molotowcocktail an, auf ihrem Bauch steht "We don't need your dimocracy [sic]" - wir brauchen Eure Demokratie nicht. Auf ihrer Schulter prankt, rosafarben, das Symbol für Anarchie.

Sie überlege gerade, ob sie der anarchistischen Gruppe "Feminism Attack" beitreten soll, sagte Amina Sbouï der Huffington Post. "Mein Problem ist nicht, dass ich keinen Minirock tragen kann", erklärt sie mit einem Seitenhieb auf Femen. "Sondern dass nicht morgen eine Frau Präsidentin von Tunesien werden kann."

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: