Tunesiens Regierungschef Jebali:Gefangen zwischen den Fronten

Sein Rücktrittsschreiben trägt er angeblich stets in der Tasche: Der tunesische Regierungschef Hamadi Jebali ist gesundheitlich wie politisch angeschlagen. Er steht für einen toleranten, fortschrittlichen Islam und ist dem Konkurrenzdruck radikaler Salafisten ausgesetzt. Sein Land befindet sich nach der Ermordung Chokri Belaïds in einer Krise.

Von Rudolph Chimelli

Körperlich ist Hamadi Jebali kein starker Mann. Tunesiens 63-jähriger Premierminister leidet an Herz- und Kreislaufproblemen. Erst am 28. Januar musste er nach einem Schwächeanfall in das Militärhospital von Tunis gebracht werden, wo ihm die Ärzte empfahlen: Nehmen Sie den Fuß vom Gaspedal, machen Sie langsam, ruhen Sie sich ein paar Tage aus. Der Ratschlag kam zur Unzeit. Denn seit der Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaïd herrscht Staatskrise in Tunesien.

Auch politisch war Jebali schon vorher schwer angeschlagen. Es heißt, er trage seit Wochen stets sein Rücktrittsschreiben in der Tasche. Nach einer stürmischen Sitzung der Schura, des Leitungsorgans seiner Partei, in der seine politische Führung kritisiert wurde, schlug er den wartenden Journalisten verärgert die Tür vor der Nase zu.

Die vorausgegangenen vier Monate hatte sich der Regierungschef mit einer Kabinettsbildung herumgeärgert, die nicht vorankam. Politische und wirtschaftliche Stagnation waren die Folge. Die beiden laizistischen Koalitionspartner seiner En-Nahda-Partei verlangen stärkere Beteiligung an der Regierung, obwohl der Kongress für die Republik des Staatspräsidenten Moncef Marzouki und die linke Ettakol des Parlamentsvorsitzenden Mustapha Ben Jaafar bei den Wahlen vom Oktober 2011 nur drei bis fünf Prozent erhalten hatten. En-Nahda erhielt immerhin 37 Prozent.

Vergebens warb Jebali bei Oppositionellen um die Erweiterung seiner Basis, während er sich gleichzeitig mit den Orthodoxen seiner Partei herumschlug und dem Konkurrenzdruck radikaler, zum Teil gewalttätiger Salafisten ausgesetzt war. Nie ließ er einen Zweifel daran, dass für ihn nur ein toleranter, fortschrittlicher Islam Aussicht hat, sich bei den Tunesiern durchzusetzen.

Jebali verbrachte 16 Jahre in Ben Alis Kerkern

Er sprach sich gegen Verbote von Alkohol oder Bikinis aus, bekannte sich zur Gleichberechtigung der Frauen und erklärte die Türkei zum Modell einer islamischen tunesischen Gesellschaft. Nur einmal ließ er sich fortreißen, als er bei einem Besuch des palästinensischen Hamas-Chefs von einem neuen Kalifat schwärmte.

Jebali stammt aus Sousse, hat in Tunis und im französischen Exil studiert, ist Fachmann für Sonnenenergie und gründete eine einschlägige Firma. Seine Frau ist Journalistin. Die Kinderjahre seiner drei Töchter erlebte er nicht, denn er verbrachte 16 Jahre in den Kerkern des Diktators Ben Ali, davon zehn in Einzelhaft. "Eine Zelle von zwei mal drei Metern, kein Buch, kein Koran, keine Zeitung, keine Gesprächspartner", berichtet er.

In die Mühlen der Justiz war er als Chefredakteur der islamistischen Zeitung al-Fadschr (die Morgenröte) geraten, als er einen Aufsatz des En-Nahda-Gründers Rachid Ghannouchi mit dem Titel "Volk des Staates oder Staat des Volkes" veröffentlichte.

Die Mörder Chokri Belaïds sucht Jebalis Umgebung in Kreisen rachsüchtiger Ben-Ali-Anhänger. Wer immer die Tat beging, sein Ziel der Destabilisierung Tunesiens hat er voll erreicht.

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