Tunesien:Mein Nachbar, der Terrorist

Tunesien: Tunesische Spezialeinheiten patrouillieren in der Stadt Ben Gardane nahe der libyschen Grenze.

Tunesische Spezialeinheiten patrouillieren in der Stadt Ben Gardane nahe der libyschen Grenze.

(Foto: Fathi Nasri/AFP)

Die tagelangen Gefechte mit Islamisten an der Grenze zu Libyen befeuern in Tunesien die Angst vor einem Einsickern von IS-Kämpfern.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Das tunesische Militär schüttet gerade einen Hunderte Kilometer langen Erdwall an der Grenze zu Libyen auf, es war gewarnt und in Alarmbereitschaft. Doch verhindern konnte es den Angriff nicht: Am Montag versuchten militante Islamisten aus Libyen, den Grenzort Ben Gardane nahe der Mittelmeer-Küste zu erstürmen. Die Soldaten brauchten mehrere Tage, um die Attacke zurückzuschlagen. Insgesamt starben mehr als 60 Menschen bei den Kämpfen, unter ihnen mehr als 40 Angreifer, zwölf tunesische Soldaten und mehrere Zivilisten. Noch am Mittwoch kam es zu Schießereien, bei denen nochmals sieben Terroristen getötet wurden. Die Soldaten entdeckten zudem ein riesiges Waffenlager mit automatischen Gewehren, Raketenwerfern und Sprengstoff.

Der schwerste Grenzzwischenfall seit Jahren befeuert Sorgen, dass die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) versucht, sich von Libyen nach Tunesien auszuweiten - von dort stammen Tausende ihrer Kämpfer, dort haben die Dschihadisten schon 2015 eine Reihe schwerer Anschläge verübt. Bereits Mittwoch vergangener Woche hatte es ein stundenlanges Gefecht an der Grenze gegeben. Fünf schwerbewaffnete Männer seien beim Versuch erschossen worden, nach Tunesien einzudringen, teilte das Innenministerium in Tunis mit, auch ein Zivilist wurde getötet.

Die internationale Gemeinschaft sorgt sich wegen des Machtvakuums in Libyen

In Libyen stocken derweil die Bemühungen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Der UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler sagte der Süddeutschen Zeitung, der Angriff in Tunesien zeige, wie wichtig es sei, dass "das Machtvakuum in Libyen möglichst schnell gefüllt wird - und das kann nur eine Einheitsregierung. Wir brauchen jetzt eine Beschleunigung des politischen Prozesses, und das können nur die Libyer selber leisten". Bisher stellten manche Politiker ihre persönlichen Interessen über die der Nation. Davon profitiere der IS, der sich Tag für Tag ausbreite.

Der Präsident des international anerkannten Parlaments in Tobruk, Aguila Saleh Issa, und eine Gruppe einflussreicher Abgeordneter blockieren bisher eine Abstimmung über die Kabinettsliste. Sie unterstützen den umstrittenen General Khalifa Haftar, der im Osten des Landes als Armeechef fungiert. Seine Einheiten hatten jüngst mit Hilfe französischer Elitesoldaten IS-Milizionäre aus Bengasi verjagt, der zweitgrößten Stadt des Landes. Haftar, der von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, würde unter einer Einheitsregierung an Macht verlieren. Das Gegenparlament in Tripolis aber lehnt Haftar ab, der sich als Kämpfer gegen jegliche Islamisten gibt. In Tripolis geben von der Türkei und Katar unterstützte islamistische Gruppen und mit ihnen verbundenen Milizen den Ton an, darunter Ableger der Muslimbruderschaft.

An diesem Donnerstag sollen nun in Tunis die Mitglieder des libyschen nationalen Dialogs über das weitere Vorgehen diskutieren, am Samstag beraten in Paris die Außenminister Frankreichs, der USA, Großbritanniens, Italiens und Deutschlands sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Italiens Premier Matteo Renzi hatte am Dienstag erst gewarnt, Libyen laufe die Zeit davon; Frankreichs Präsident François Hollande sagte, nun gelte es, andere Länder mit Einfluss auf Libyen zu überzeugen, dass die Gefahr durch den IS "so groß ist, dass eine parteiübergreifende Regierung in Libyen in ihrem Interesse ist". Diese Regierung, so die Vorstellung westlicher Staaten, könnte um Luftangriffe im Kampf gegen den IS bitten, die nötigen Bodentruppen dafür stellen und die Aufhebung des UN-Waffenembargos beantragen.

Es verdichten sich Anzeichen, dass die Geduld nicht mehr allzu lange reicht. Die New York Times berichtet, das Pentagon habe Eventualplanungen für Luftangriffe auf 30 bis 40 Ziele vorbereitet, um die Anführer des IS in Libyen zu töten und die Gruppe zu schwächen. Libysche Milizen würden am Boden mit westlichen Spezialeinheiten gegen die Dschihadisten vorgehen, die Sirte und den umliegenden Landstrich sowie andere, kleinere Gebiete kontrollieren. Zunächst soll es aber wohl bei begrenzten Operationen bleiben, wie dem Angriff auf ein IS-Ausbildungslager am 29. Februar in Sabrata, bei dem Noureddine Chouchane getötet wurde. Er soll die Anschläge auf das Nationalmuseum Bardo und den Strand bei Sousse organisiert haben. Die USA reagierten damals auf konkrete Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag in Tunesien - verhindern konnten auch sie ihn offenbar nicht.

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