Tunesien:Mehr Rechte für Muslimas

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Tunesische Frauen dürfen künftig Andersgläubige heiraten. Bisher musste der Mann dafür zum Islam übertreten.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Tunesiens neue Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, das konservative islamische Kleriker als Angriff auf den heiligen Koran verteufeln: Es erlaubt muslimischen Frauen, Nicht-Muslime zum Mann zu nehmen. Bisher musste der Mann dafür zum Islam konvertieren und ein entsprechendes Zertifikat vorweisen. Präsident Béji Caïd Essebsi, 90, argumentiert, das alte Verbot von 1973 verstoße gegen die neue Verfassung von 2014, die Gleichberechtigung vorsieht. Denn muslimischen Männern stand es frei, Frauen zu ehelichen, die anderen Religionen angehören.

Mit demselben Argument hatte Essebsi zuvor schon die Benachteiligung von Frauen im Erbrecht beendet. Gemäß dem Koran erben Töchter nur die Hälfte dessen, was Söhnen zusteht. Tunesien hat zudem ein Gesetz verabschiedet, das Frauen besser vor Gewalt schützen soll. Die Gattin grün und blau zu prügeln gilt in weiten Teilen der arabischen Welt immer noch als ein Recht des Mannes, nicht als Straftat. In vielen Ländern bleiben selbst Vergewaltiger straffrei, wenn sie ihr Opfer heiraten; auch damit hat Tunesien Schluss gemacht.

Tunesien räumt seiner Verfassung Vorrang ein und schafft so recht fortschrittliche zivile Normen

Die Abgeordnete Rym Mahjoub von der Partei Afek Tounes sieht ihr Land als Vorreiter für Frauenrechte in der Region. Das gilt umso mehr, weil an der Regierung nach wie vor Ennahda beteiligt ist, die größte islamistische Partei des Landes, die sich aus der tunesischen Muslimbruderschaft entwickelt hat. Mahjoub wies freilich auch darauf hin, dass es ebenso gelte, die konservativen gesellschaftlichen Traditionen zu ändern, die Frauen oft daran hindern, ihre verbrieften Rechte wahrzunehmen. Während die Änderungen im Erbrecht spürbare, große Auswirkungen haben dürften, sind sie beim Heiratsedikt überschaubar. Mehr als 97 Prozent der Tunesierinnen und Tunesier sind sunnitische Muslime.

Symbolisch und rechtstheoretisch aber sind sie wichtig: Während in den meisten arabischen Staaten Standes- und Familienrecht zumindest für Muslime direkt aus der Scharia, also dem koranischen Recht angewendet wird, räumt Tunesien seiner Verfassung Vorrang ein und schafft vergleichsweise fortschrittliche zivile Normen. Das hat eine gewisse Tradition, die Staatsgründer Habib Bourguiba begründete: Er orientierte sich stark an Frankreich und ließ schon 1956 die Polygamie verbieten.

Freilich bleiben die Änderungen in Tunesien nicht ohne Widerstand: Einige einflussreiche Imame verurteilten sie ebenso wie Ex-Minister der Ennahda. Und aus der Partei hieß es, Essebsi solle sich lieber um die echten Probleme kümmern, wie die Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die anhaltende Wirtschaftskrise.

Mit größter Verve aber gingen ausländische Kritiker die Reformen an. Der stellvertretende Chef der altehrwürdigen Azhar-Universität in Kairo, Abbas Schoman, begründete seine Ablehnung so: Während man annehmen könne, dass ein muslimischer Mann einer Frau anderen Glaubens die Freiheit lasse, diesen auszuleben, können man das bei Männern nicht-muslimischen Glaubens umgekehrt nicht voraussetzen. Die Erbrechts-Reform "tut Frauen unrecht, bringt ihnen keine Vorteile und steht im Widerspruch zur Scharia".

Die ägyptische Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi bewirbt die Azhar weltweit als Leuchtturm des "moderaten Islam". Dies bezieht sich allerdings augenscheinlich vor allem darauf, dass sie mit ihrer religiösen Autorität der Deformation des Islam durch die Dschihadisten der Terrormiliz Islamischer Staat und dem politischen Islam der Muslimbruderschaft entgegentreten soll. Dabei beansprucht sie für sich die alleinige Deutungshoheit über die koranischen Texte - und die ist orthodox. Auch ein Weg, nötige Debatten über Reformen abzuwürgen in einem Land, in dem 95 Prozent aller Frauen über sexuelle Belästigungen klagen.

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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