Tunesien:Die Friedensnobelpreisträger streiten

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Missgunst mal vier: Houcine Abassi (Gewerkschaften), Mohamed Fadhel Mahfoud (Anwaltsvereinigung), Abdessatar Ben Moussa (Tunesische Menschenrechtsliga) und Wided Bouchamaoui (Arbeitgeberverband, von links nach rechts) am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Oslo.

(Foto: AFP)

Vier tunesische Organisationen nehmen in Oslo gemeinsam den Nobelpreis entgegen. Doch ihr Bündnis beginnt zu bröckeln.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es waren vier Organisationen, die Tunesien 2013 vor einem drohenden Bürgerkrieg gerettet haben: der mächtige Gewerkschaftsbund UGTT, die Arbeitgebervereinigung Utica, die Anwaltskammer und die Menschenrechtsliga. Sie taten sich zusammen und organisierten einen Nationalen Dialog zwischen Islamisten und Säkularen, als das Land nach politischen Morden auf der Kippe stand. An diesem Donnerstag nehmen die Chefs dieser Organisationen den Friedensnobelpreis entgegen.

Doch wenn sie in Oslo zusammen auf die Bühne treten, kann das nicht verbergen, dass dieses in der arabischen Welt einmalige Bündnis der Zivilgesellschaft bröckelt, dass jedes seiner Mitglieder heute wieder seine ureigenen Interessen verfolgt, vor allem Gewerkschaft und Arbeitgeber. Und dass Missgunst und Eifersüchteleien an die Stelle von Solidarität und Verantwortungsbewusstsein treten - ausgerechnet in der schwersten Krise, die das Land seit jenen Tagen im Sommer 2013 durchlebt.

Nach Oslo im eigenen Flieger

So weit gehen die Animositäten, dass die Delegation des Arbeitgeberverbandes im eigenen Flieger nach Oslo reist, während die anderen drei Abordnungen denselben Flug nehmen. Zum einen steckt UGTT-Chef Houcine Abassi seit Monaten in einer harten Tarif-Auseinandersetzung mit der Utica unter Präsidentin Wided Bouchamaoui. Zum anderen liegen sie im stillen Streit darüber, wer welchen Anteil an der Auszeichnung für sich reklamieren kann. Abassi, der auch mit anderen Ehrungen überhäuft wurde, wird vorgeworfen, sich über Gebühr im Glanz des Preises zu sonnen. Eisig war denn auch die Atmosphäre bei einem Empfang des französischen Präsidenten François Hollande, der das Quartett am Dienstag noch mit dem Nationalorden der Ehrenlegion bedachte, der höchsten Auszeichnung, die Frankreich zu vergeben hat.

Abassi fordert im Schnitt 15 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten der Privatwirtschaft, die Arbeitgeber boten anfänglich mit Verweis auf die Wirtschaftskrise zwei Prozent. Das Wachstum wird in diesem Jahr voraussichtlich mickrige 0,4 Prozent betragen, die Inflation liegt dagegen bei deutlich mehr als fünf Prozent. Die Leute können sich immer weniger leisten, die sozialen Spannungen nehmen zu, die Arbeitslosigkeit, selbst unter jungen Akademikern, ist ungebrochen hoch.

Einen geplanten Generalstreik der Beschäftigten sagte die Gewerkschaft im letzten Moment ab, weil am Vorabend ein Terroranschlag das Land traf, bei dem mitten in Tunis ein Selbstmordattentäter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zwölf Mitglieder der Präsidentengarde ermordete.

Tunesiens Tourismus ist eingebrochen

Selbst Regierungschef Habib Essid, der eine stufenweise Erhöhung der Löhne und Einmalzahlungen ins Spiel gebracht hatte, konnte den Streit nicht schlichten. Und Abassi lässt kaum eine Gelegenheit aus zu erwähnen, dass die UGTT den Vorschlag der Regierung akzeptiert habe - den Bouchamaoui als zu stark an den Forderungen der Gewerkschaft orientiert weiter ablehnt.

Abassi beschwört die nationale Verantwortung: Tunesien brauche "nichts dringender als sozialen Frieden, denn davon hängt die nationale Sicherheit ab". Doch dem, so klagte er in einem gemeinsamen Interview des Quartetts im Sender France24, verschließe sich Bouchamaoui. Diese wiederum konterte, dass die Arbeitgeber nicht allein verantwortlich dafür seien, dass die Kaufkraft der Tunesier zurückgehe.

Der Tourismus ist nach den Anschlägen von Tunis und Sousse eingebrochen. Die Regierung ist von Machtkämpfen gelähmt, die angekündigten Wirtschaftsreformen stocken, ausländische Investoren bleiben aus. Die Freude über den Nobelpreis ist bei vielen Tunesiern der Ernüchterung gewichen. Sie leben wieder im Ausnahmezustand, in Tunis gilt von Mitternacht bis fünf Uhr morgens Ausgangssperre. Nach Schätzungen der Sicherheitsfirma Soufan Group haben sich 6000 Tunesier dem IS angeschlossen; die Grenze zu Libyen, dem neuen Rückzugsort der Dschihadisten, ist noch bis Ende der Woche geschlossen. Und die Polizei hat mindestens zwei weitere militante Islamisten verhaftet, die schon weit gekommen waren mit Vorbereitungen für einen Selbstmordanschlag auf der Avenue Bourguiba, der wichtigsten Straße im Zentrum von Tunis. Nach feiern ist da kaum jemandem zu Mute.

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