Tunesien:Ben Ali deutet Verzicht auf weitere Amtszeit an

Der Druck von der Straße zeigt offenbar Wirkung: Tunesiens Präsident Ben Ali räumt in einer TV-Ansprache indirekt unangemessene Gewalt ein - und will nicht noch einmal antreten.

Nach wochenlangen, tödlichen Unruhen in Tunesien hat Präsident Zine el Abidine Ben Ali in einer Fernsehansprache indirekt seinen Verzicht auf eine weitere Amtszeit erklärt. Der 74-Jährige sprach sich am Donnerstagabend für eine Beibehaltung des erlaubten Höchstalters für Präsidentschaftskandidaten von 75 Jahren aus. Eine Kandidatur für eine weitere Amtszeit im Jahr 2014 käme für Ben Ali damit nicht mehr in Betracht.

Tunesien: Tunesiens Präsident Zine el Abidine Ben Ali während der Fernsehansprache: Er versprach  Preissenkungen für Lebensmittel und Meinungsfreiheit für Journalisten.

Tunesiens Präsident Zine el Abidine Ben Ali während der Fernsehansprache: Er versprach  Preissenkungen für Lebensmittel und Meinungsfreiheit für Journalisten.

(Foto: AFP)

Ben Ali räumte zudem erstmals indirekt den Einsatz unangemessener Gewalt seiner Sicherheitskräfte bei den Unruhen im Land ein. "Ich habe das Innenministerium angewiesen, künftig auf ungerechtfertigte Waffengewalt zu verzichten", sagte er in seiner dritten Fernsehansprache seit Beginn der Massenproteste.

Ob ihm die Demonstranten glauben, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Demokratie hatte Ben Ali bereits bei seinem Amtsantritt 1987 versprochen. Auf schnelle Erfolge bei der Bekämpfung der Ursachen der Unzufriedenheit kann Ben Ali jedenfalls nicht hoffen.

Der Präsident kündigte außerdem Preissenkungen für Lebensmittel, Meinungsfreiheit für Journalisten und die Lockerung der Internetzensur. "Ich habe entschieden, dass die Presse vollkommene Freiheit haben soll und Internetseiten nicht länger zu schließen", sagte er. Bereits kurz nach der Rede waren zuvor gesperrte Seiten wie YouTube wieder erreichbar. Außerdem solle eine unabhängige Untersuchungskommission sich mit den Gewalttaten der vergangenen Wochen befassen, sagte Ben Ali.

Erneut sprach er jedoch von "kriminellen Banden", die die Gewalt anheizten. Ben Ali hatte in seinen früheren Ansprachen bereits zahlreiche Maßnahmen angekündigt, darunter die Schaffung von 300.000 Jobs. Doch bisher konnten die Versprechen nicht dazu beitragen, die Proteste einzudämmen.

Die Rede scheint für viele Tunesier eine Erlösung zu sein: Nach der Ansprache strömten Augenzeugen zufolge Hunderte von Menschen trotz der Ausgangssperre auf die Straßen von Tunis. Nationalflaggen wurden geschwenkt, Hupkonzerte ertönten. "Es lebe Ben Ali", "Danke Ben Ali" und "Freiheit", riefen die Menschen demnach.

Najib Chebbi, Vorsitzender der oppositionellen Progressiven Demokratischen Partei, bezeichnete den Verzicht Ben Alis auf eine erneute Amtszeit als "sehr gut". Er erwarte aber vom Präsidenten, dass er "konkrete Details" bekanntgebe, sagte er der BBC.

Immer neue Demonstrationen und Ausschreitungen mit Toten erschüttern das Land. Laut Zeugenberichten wurden am Donnerstagabend erneut zwei Menschen getötet. Ein 23-Jähriger sei im Zentrum der Stadt Kairouan durch Kugeln der Polizei gestorben berichtete ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur AFP. Ein etwa 40 Jahre alter Mann sei unter ähnlichen Umständen ums Leben gekommen, sagte ein anderer Zeuge. Ein Großteil der Bevölkerung teilt die Kritik der Demonstranten an der Arbeitslosigkeit im Land und der Vetternwirtschaft des seit 1987 regierenden Präsidenten.

Die Staatsführung gerät bislang jedoch nicht ins Wanken. Denn die seit Jahren unterdrückte Opposition hat keine Alternativen zu Ben Ali. Selbst wenn die Proteste zu seinem Sturz führen sollten, wäre auch ein Thronfolger aus dem eigenen Clan kaum mehr vorstellbar.

Kaum Alternativen zu Ben Ali

Habgier, Korruption und Vetternwirtschaft - das sind die Begriffe, die mit "La Famille" (Die Familie) in Verbindung gebracht werden. Die islamistischen Kräfte im Land gelten als schwach. Beobachter rechnen nicht damit, dass sie entscheidend in die Geschehnisse eingreifen können.

Selbst langjährige politische Beobachter müssen passen, wenn sie nach der weiteren Entwicklung der Situation gefragt werden. "Es ist nicht erkennbar, wer gegebenenfalls als Nachfolger auftreten könnte. Es drängt sich niemand auf", sagt Ralf Melzer, der in Tunis die Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. In anderen politischen Lagern sei allerdings auch niemand zu finden. "Die Oppositionsparteien sind personell und strukturell nicht in der Lage, sich an die Spitze der Proteste zu setzen", sagt der Tunesien-Kenner.

Im Präsidentlager gab es schon oft Gerüchte über mögliche Thronfolger aus den eigenen Reihen. Präsidentengattin Leila Ben Ali wurden Ambitionen nachgesagt, ebenso Ex-Außenminister Abdelwaheb Abdallah oder dem schwerreichen Geschäftsmann und Schwiegersohn Mohamed Sakhr el-Materi. Bekennen wollte sich Ben Ali allerdings nie zu einem der möglichen Kandidaten.

Die mehrheitlich jugendlichen Demonstranten protestieren seit rund einem Monat gegen die Politik des autokratisch regierenden Präsidenten. Bislang sind bei den Auseinandersetzungen mindestens 23 Menschen ums Leben gekommen.

Das Urlaubsland Tunesien galt bisher als eines der stabileren Länder Nordafrikas. Ben Ali regiert das Land mit eiserner Hand, seit er bei einem unblutigen Staatsstreich vor 23 Jahren an die Macht kam.

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