Türkischstämmige Ministerinnen:Drei Frauen für die Integration

Bilkay Öney, Aygül Özkan und Zülfiye Kaykin haben einiges gemeinsam: Alle drei stammen aus der Türkei, alle drei sind als Politikerinnen in ihren Landesregierungen für das Thema Integration verantwortlich. Mit den Herausforderungen ihrer Ämter gehen sie aber unterschiedlich um.

R. Deininger, J. Schneider und B. Dörries

Manchmal braucht Bilkay Öney nur eine Vorlage, sie muss nicht mal besonders gut sein. Kürzlich zum Beispiel, bei einem Empfang der SPD-Landtagsfraktion für Migranten im Stuttgarter Parlamentsfoyer, erhob sich ein Vietnamese und fragte die Integrationsministerin, ob so etwas wie der runde Tisch für Muslime auch für Asiaten geplant sei. Nein, sagte Öney freundlich, vorerst nicht.

Intergrationsministerin Bilkay Öney

Bilkay Öney, ist die baden-württembergische Integrationsministerin von der SPD. Stets sieht die ehemalige Moderatorin aus, als käme sie direkt aus der Maske.

(Foto: dpa)

Das war der Teil der Antwort, den auch ein gewöhnliches Kabinettsmitglied hätte geben können, ergänzt vielleicht um die Zusicherung, dass der grün-roten Landesregierung selbstverständlich alle Einwanderergruppen gleich am Herzen liegen. Bilkay Öney aber ist alles, nur kein gewöhnliches Kabinettsmitglied. Also sagte sie: "Ich schätze die asiatische Kultur sehr, ich habe einen asiatischen Heilpraktiker, ich liebe das asiatische Essen und bedauere es sehr, dass wir hier in Stuttgart nicht so viele asiatische Restaurants haben wie in Berlin."

Bilkay Öney führt in Baden-Württemberg das erste reine Integrationsministerium der Republik, vor einem Jahr trat sie ihr Amt an. Sie zählt zu einer neuen Spezies in der deutschen Politik: den türkischstämmigen Regierungsmitgliedern. Sie stehen für den Aufstieg der Migranten in die Zentren der Macht, für den Brückenschlag zu den Deutsch-Türken, für eine Integrationspolitik von Migranten für Migranten. Für Politiker also, die wissen, wovon sie reden.

Den Anfang machte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), der vor gut zwei Jahren Aygül Özkan zu seiner Sozial- und Integrationsministerin berief, wenig später folgte in Nordrhein-Westfalen die Staatssekretärin für Integration, Zülfiye Kaykin (SPD), und vergangenes Jahr dann Bilkay Öney. Mit ihnen verbanden sich große Hoffnungen. Konnten sie diese erfüllen? Machen sie eine andere, migrantische, bessere Politik?

Für Bilkay Öney ist derlei Profilierung schwierig: Die 41-jährige Betriebswirtin hat in Stuttgart zwar ein Ressort, aber kein Geld, es zu gestalten. Gerade mal fünf Millionen Euro bleiben ihr pro Jahr für eigene Initiativen. Zudem finden manche, sie mache zu wenig aus den Mitsprachemöglichkeiten in anderen Ressorts, die der Koalitionsvertrag ihr bietet. Öney ist also eine Symbolministerin.

Aber für diesen Job, argumentieren ihre Unterstützer, sei der Überraschungs-Import von SPD-Landeschef Nils Schmid aus Berlin genau die Richtige: Eine, die immer sagt, was sie denkt, selbst wenn Heilpraktiker und Restaurants der Hauptgegenstand ihrer Überlegungen sind; eine die als "Mitglied im Verein für klare Worte" (so Ministerpräsident Winfried Kretschmann) auch mal öffentliche Debatten anstoßen kann. Ihre Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass sich jede zweite dieser Debatten darum dreht, ob die außergewöhnliche Frau Öney als Ministerin tragbar ist.

Kommt die Ministerin in Fahrt, werden die Mitarbeiter nervös

Die Südwest-CDU muss irgendwo eine Standardpressemitteilung gespeichert haben, in der sie jeweils nur noch den aktuellen Grund für ihre Rücktrittsforderung einfügt. Derzeit empören sich nicht nur Christdemokraten über einen Satz, der Öney bei einer Diskussion in einer alevitischen Gemeinde herausrutschte.

Sie war gefragt worden, warum Deutschland gegen die NSU-Mörder nicht mehr getan habe. Sie sagte: "Den tiefen Staat gibt es auch in Deutschland." Der Begriff tiefer Staat steht in der Türkei für einen Staat im Staate, einen Geheimbund von Politik, Justiz und Sicherheitskräften. Mit etwas Abstand stellte Öney klar, dass das in Deutschland natürlich doch ganz anders sei.

Öney, die als Dreijährige mit ihren Eltern aus Ostanatolien nach Berlin zog, war früher Fernsehmoderatorin. Auch als Ministerin sieht sie stets aus, als käme sie gerade frisch aus der Maske. Nur an ihren Text hält sie sich eben nicht gern. Wenn sie wieder mal Fahrt aufnimmt und für eine Geschichte den Straßenjargon türkischer Jugendlicher nachahmt ("Hör mal, Alter!"), natürlich inklusive sexueller Fachtermini, klammern sich ihre Mitarbeiter nervös an den Stühlen fest. So was, hört man sogar aus Regierungskreisen, komme eben raus, wenn über die Besetzung eines Ministerpostens nur die Quoten entschieden.

Öney ist erst ein paar Jahre bei der SPD, vorher saß sie für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch das gehört zu ihrem Problem, ihre Integration in die Sozialdemokratie ist noch nicht durchweg gelungen. Eines können Öney aber auch die internen Neider ihres schnellen Aufstiegs nicht absprechen: Dass ihre Energie und Direktheit belebend wirken, zumal in einem Politikfeld, das von den Zwängen politischer Korrektheit zerfurcht ist wie kaum ein anderes. Verstört sind indes Teile des eigenen Lagers und die Migrantenverbände, denen die Ministerin gerne die "Holschuld" von Minderheiten erläutert.

Noch vor der Ernennung von Aygül Özkan schnappte die Falle zu

Ihre Kollegin in Niedersachsen, Aygül Özkan, dagegen irritiert nicht mit Tabu-Brüchen, sie verkörpert eher das Gegenteil. Das hängt mit dem Beginn ihrer Karriere als Ministerin zusammen, mit einem Aufruhr, der selbst viele Veteranen aus dem Gleichgewicht brachte. Özkan war wenig erfahren, dazu fremd in Niedersachsen, sogar in ihrer Heimatstadt Hamburg nur Polit-Experten vertraut. Dennoch holte Christian Wulff sie 2010 aus der zweiten Reihe der Hamburger CDU als erste Ministerin aus einer türkischen Migranten-Familie. Es war eine Berufung, die schnell zur Falle zu werden drohte: Über die junge Juristin brach eine Welle von Anfragen herein.

Aygül Özkan

Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan von der CDU löste die ersten Diskussionen schon vor ihrer offiziellen Ernennung aus.

(Foto: dpa)

Noch vor ihrer offiziellen Ernennung zur Ministerin für Soziales, Gesundheit und Integration schien die Falle zuzuschnappen. Sie gab ein unklares Interview zu Kruzifixen in Schulen, es folgte eine aufgeregte Debatte um die Formel der Muslimin beim Amtseid, und nach dem nächsten Missgeschick sah es aus, als wäre die steile Karriere bald zu Ende. Dem neuen Ministerpräsidenten David McAllister war anzumerken, dass er sie für ein politisches Leichtgewicht hielt. In Hannover hieß es, Özkan wäre beim nächsten Fehler weg. Nun macht sie einfach keinen Fehler mehr. Ihr Stil ist bei kontroversen Themen von Kontrolle und Zurückhaltung geprägt.

Im Ministerium hält man es für ein Qualitätsmerkmal, dass ihr Migrationshintergrund bei ihrer Politik keine Rolle mehr spiele. Sie unterscheide eben bei ihrem Einsatz für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Familien nicht nach Herkunft, "sondern arbeitet für die Zukunft Niedersachsens", sagt ihr Sprecher.

Aus ihr spricht das Selbstbewusstsein einer Aufsteigerin

"Frau Özkan hat sich hundertprozentig in die CDU integriert", spottet dagegen SPD-Fraktionschef Stefan Schostok. Ihre Nominierung habe damals bei Bürgern mit ausländischen Wurzeln viele Erwartungen geweckt. "Frau Özkan hat diese Erwartungen aber bisher nicht erfüllen können oder dürfen." Sie sei zwar vom Titel her für Integration zuständig, aber in strittigen Fragen der Ausländerpolitik gebe allein Innenminister Uwe Schünemann den Ton an. "Frau Özkan schweigt eisern. Man hört von ihr nichts zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft oder zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer."

Dafür hat sie mit herzlichen Auftritten auch in konservativ geprägten Regionen gepunktet. Inzwischen rangiert sie laut Umfragen auf der Beliebtheits-Skala vor den meisten Minister-Kollegen. Bei der letzten Islam-Konferenz ließ Özkan erahnen, was sie als ihren Auftrag sieht. Sie sagte, die Verbesserung der realen Lebensverhältnisse der Musliminnen sei gewiss ein wichtiges Anliegen. Niemand dürfe Themen wie Zwangsverheiratung, Unterdrückung und Ehrenmorde ausblenden. Doch ebenso wichtig sei, dass die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehme, dass muslimische Mädchen mittlerweile in Schule und Ausbildung erfolgreicher seien als die Jungen. Es ist das Selbstbewusstsein einer Aufsteigerin, das da aus ihr spricht.

Für Zülfiye Kaykin ist das Amt die Krönung einer Lebensleistung

Zülfiye Kaykin im  Wahlkampfteam der NRW-SPD

Zülfiye Kaykin von der NRW-SPD könnte die erste Ex-Integrationsministerin werden.

(Foto: dpa)

Auch in Düsseldorf gibt es seit zwei Jahren eine deutsch-türkische Integrationspolitikerin. Und auch bei Zülfiye Kaykin, der Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit Integration und Soziales, spielt Selbstbewusstsein eine Rolle. Allerdings vor allem das des ehemaligen Ressortchefs: Armin Laschet war der erste Integrationsminister in Deutschland, er erweckte manchmal den Eindruck, er habe die Integrationspolitik überhaupt erst erfunden.

Der CDU-Politiker war in Talkshows und schrieb Bücher. Seine Fußstapfen sind Kaykin vielleicht doch zu groß: Sie ist nur selten im Fernsehen, und bekommt nicht viel mit von ihrer Arbeit. Laschet und Kaykin: zwei grundverschiedene Menschen und Biografien, zwei unterschiedliche Ansätze, wie Integrationspolitik heute aussehen kann.

Laschet hatte wenig Ahnung, was da auf ihn zukommt, als man ihn aus dem Europäischen Parlament ins Düsseldorfer Kabinett holte. Aber er holte sich schlaue Berater und holte viel heraus aus seinem Alleinstellungsmerkmal als erster Integrationsminister. Er hat kluge Sachen gesagt und viel Aufmerksamkeit erregt, doch es ist schwer zu sagen, was nach seiner fünfjährigen Amtszeit konkret geblieben ist.

Für Kaykin war die Berufung zur Staatssekretärin nicht die Krönung einer Parteilaufbahn, sondern einer Lebensleistung. Sie war mit neun Jahren nach Deutschland gekommen, hatte Schuhfachverkäuferin gelernt und sich dann in der Moscheenarbeit engagiert. Sie war am richtigen Ort, als das "Wunder von Marxloh" geschaffen wurde. Die große Zentralmoschee im Duisburger Stadtteil war die erste in Deutschland, die ganz ohne Streit entstand und in großer Offenheit geführt werden sollte. Kaykin war bis zu ihrer Berufung 2010 die Leiterin der dortigen Begegnungsstätte.

Kaykin könnte erste türkischstämmige Ex-Integrationspolitikerin werden

Ende 2011 kamen dann aber auch erste Vorwürfe, dass dort nicht alles ganz sauber gelaufen sei, von schwarzen Kassen ist die Rede und von Beschäftigten in der Gastronomie der Begegnungsstätte, für die keine Sozialabgaben gezahlt worden seien. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Aber unabhängig davon haben manche in Düsseldorf den Eindruck, dass Kaykin zu nah dran sei an all den Interessensverbänden und islamischen Strömungen. Es war jedenfalls schon erstaunlich, dass ein interner Prüfbericht aus der Moschee an die Öffentlichkeit gelangte, wohl auch weil Kaykin zwischen die Fronten verschiedener Strömungen in der Ditib geraten war, dem größten Moscheenverein mit 900 Gemeinden in Deutschland.

Eine Staatssekretärin sollte aber über diesen Kleinkriegen stehen, heißt es in Düsseldorf. Die oppositionelle CDU warf Kaykin bereits vor, zu wenig kritische Distanz zu pflegen zu den verbotenen Grauen Wölfen, die jetzt Idealistenvereine heißen. Die Welt am Sonntag sprach von einer "Umarmungsrhetorik gegenüber türkischen Islamisten, Nationalisten und Einmischungsversuchen aus Ankara".

Kaykin hat versucht, es anders zu machen als ihr Vorgänger, der zu den Deutschen sprach. Sie hat für die vielen Migranten sprechen wollen, es aber auch zu vielen recht machen wollen. Und sich dabei verheddert. Es ist sehr fraglich, ob sie unter der neuen Landesregierung im Amt bleiben wird. Und damit könnte Kaykin diesmal die erste sein: die erste türkischstämmige Ex-Integrationspolitikerin Deutschlands.

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