Türkei:Zwietracht säen

Türkei: Festnahme bei einer Demonstration im Dezember 2014: Im Kampf gegen den Terror will die türkische Regierung nun Denunziation mit Geld belohnen.

Festnahme bei einer Demonstration im Dezember 2014: Im Kampf gegen den Terror will die türkische Regierung nun Denunziation mit Geld belohnen.

(Foto: Adem Altin/AFP)

Die Regierung belohnt Denunzianten reich, die Hinweise auf mögliche Terroristen geben.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Kommen jetzt bald die Petz-Boxen, kleine Briefkästen für giftige Post? Aufgestellt in den Mahalles, so heißen die Nachbarschaftsviertel türkischer Städte. Zwei Monate vor den Neuwahlen in dem Land hat sich die Regierung ein neues Projekt einfallen lassen, das Angst, Zorn und Misstrauen bis in die kleinsten Straßen tragen dürfte. An dem von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ausgerufenen Kampf gegen den Terror kann sich nun jeder Bürger beteiligen. Die Regierung will Anschwärzerei belohnen.

Wer den Sicherheitsbehörden Informationen über seinen angeblich kriminellen Nachbarn steckt, kann bis zu knapp 70 000 Euro bekommen. Liefert er beispielsweise Hinweise auf Führungskader der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK oder Informationen über einen geplanten Terrorangriff, dann ist das dem Staat sogar bis zu etwa 1,3 Millionen Euro wert. "Willkommen, Herr Denunziant", hat Ali Sirmen, Autor der Zeitung Cumhuriyet, seine neueste Kolumne überschrieben. Als ob die Stimmung im Land nicht so schon aufgewühlt genug wäre.

Seit Wochen führt die Regierung vor allem im Osten des Landes Krieg gegen die Kämpfer der PKK. Deren Anhänger verüben fast täglich Anschläge auf Sicherheitskräfte. Bilder von Soldaten, die Särge tragen, sind fester Bestandteil der Abendnachrichten geworden. Vom Friedensprozess, der bis zum Frühjahr auf einem guten Weg zu sein schien, ist überhaupt nichts mehr zu spüren. Und Staatspräsident Erdoğan legt den Terror-Begriff extrem weit aus. Verdächtig ist ohnehin jeder, der andere Ziele verfolgt als er. Die prokurdischen Partei HDP, die mit ihrem Einzug ins Parlament bei der Wahl am 7. Juni der AKP den Weg zur absoluten Macht blockiert hat, hat er bereits als verlängerten Arm der PKK bezeichnet und damit in die Nähe des Terrorismus gerückt.

"Das ist ein Petzprojekt", ärgert sich der Jura-Professor Ibrahim Kaboğlu. In einem Rechtsstaat sollte man das lassen. Stattdessen bürokratisiert der vermeintliche Rechtsstaat nun das Denunziantentum: Eine Belohnungskommission, bestehend aus sieben Mitgliedern der Behörden, soll bewerten, wie viel ihnen jeder Tipp wert ist. Bezahlt werden die Prämien aus dem Etat des Innenministeriums.

Regierungskritische Zeitungen müssen wieder mit Razzien rechnen

Die Opposition ist entsetzt. HDP-Chef Selahattin Demirtaş sagte: "Mein Rat an die Bürger ist dieser: Verratet eure Nachbarn nicht für Geld. Kriminalitätsbekämpfung ist das eine. Die Menschen zum Verpetzen zu ermutigen etwas völlig anderes." Es sei eine Schande für dieses Land, das für sich in Anspruch nimmt, so großartig zu sein, auf die Hilfe von Denunzianten zu setzen. Kemal Kılıçdaroğlu, Chef der größten Oppositionspartei, der säkularen CHP, sieht das ähnlich. Er sagte im türkischen Fernsehen, der Kampf gegen den Terror könne nicht dadurch gewonnen werden, dass man die Leute ermuntere, andere anzuschwärzen.

Regierungskritischen Medien führte der türkische Staat am Dienstag erst wieder seine Stärke vor Augen. In einer Großrazzia ging die Polizei gegen 23 Firmen der Koza Ipek Holding vor, die unter anderem die regierungskritische Zeitung Bugün herausgibt. Die hatte in ihrer Dienstagsausgabe über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an den IS berichtet.

Der Chefredakteur der Zeitung, Erhan Başyurt, schrieb auf Twitter, dies sei der Versuch, die Presse zum Schweigen zu bringen. Bereits vor der Wahl im Juni war die Regierung mit großer Härte gegen kritische Medien vorgegangen. Seit Tagen war über eine neue Welle der Repression spekuliert worden. Die ebenfalls regierungskritische Zeitung Sözcü erschien am Dienstag mit der Schlagzeile: "Wenn Sözcü schweigt, schweigt die Türkei." Darunter hieß es trotzig: "Uns kann man nicht zum Schweigen bringen."

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