Türkei:"Zerquetsche sie, verbrenne sie" - der Whatsapp-Chat der Putschisten

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Türkische Soldaten und Demonstranten auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Staatlichen Quellen zufolge forderte die Nacht 264 Tote. (Foto: AFP)
  • Das Recherchenetzwerk "Bellingcat" hat das Chatprotokoll einer Whatsapp-Gruppe hochrangiger türkischer Militärs veröffentlicht.
  • Sie koordinieren darin Teile des Putschversuchs, vor allem in Istanbul.
  • Einige von ihnen befehlen, auf Zivilisten zu schießen.

Von Benedikt Peters

Zunächst klingen die Putschisten siegesgewiss. "Keine Probleme", schreiben sie, nachdem sie strategisch wichtige Punkte in Istanbul eingenommen haben - Brücken, Flughäfen, Polizeiquartiere. "Alles ist gut." Nach und nach aber schleicht sich die Unsicherheit in ihre Sätze, immer häufiger fordern sie Verstärkung - und nur sehr selten wird ihre Forderung erfüllt. Schließlich geben sie auf.

Im Netz sind diese Details aus der Nacht vom 15. Juli nun nachzulesen, in der Teile des türkischen Militärs versuchten, die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen. Das renommierte Recherchenetzwerk Bellingcat hat das Chatprotokoll einer Whatsapp-Gruppe veröffentlicht, in der 24 hochrangige Soldaten Teile des Putschversuchs koordinierten, vornehmlich in Istanbul.

"Wir haben vier Leute erschossen. Alles fein"

Die Journalisten rekonstruierten die Unterhaltung aus einem Video, das die ersten eineinhalb Stunden des Chatverlaufs zeigt. Für die Zeit danach verweisen sie auf eine zweite Quelle: Der türkische Journalist Selahattin Günday hat entsprechende Fotos von Handydisplays zur Verfügung gestellt.

Der Chat zeigt nicht nur, wie nach und nach die Hoffnung der Putschisten schwindet. Er zeigt auch, wie wenig sich die meisten von ihnen aus Menschenleben machen. "Wir haben vier Leute erschossen. Alles fein", schreibt etwa ein Major, nachdem die Putschisten eine Militärschule im Istanbuler Stadtteil Çengelköy eingenommen haben.

Mehrmals befehlen die Soldaten, auf Widerstand leistende Zivilisten zu schießen. "Auf euch zukommende Menschenmengen werden sich unter Beschuss zerstreuen", schreibt ein Oberstleutnant. Ein weiterer Major befiehlt einem Soldaten, als der auf die wachsende Zahl an Demonstranten verweist: "Zerquetsche sie, verbrenne sie (...). Wage es nicht, zu zögern." Am Ende weigert sich der Soldat trotzdem. "Wir könnten drei oder fünf von ihnen erschießen. Aber stoppen könnten wir sie nicht."

Anhaltspunkte für das Scheitern

Um viertel nach neun am Abend, kurz vor Beginn des Putsches, hatte ein Major die Whatsapp-Gruppe gegründet. Er nennt sie "Yurtta sulh" - eine Anspielung auf ein berühmtes Zitat des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk. Vollständig lautet es "Yurtta sulh, cihanda sulh" - übersetzt so viel wie "Frieden zu Hause, Frieden in der Welt." Der Satz wurde zum Leitspruch der türkischen Landstreitkräfte.

Der Chat gibt zudem Anhaltspunkte dafür, warum der Putschversuch gescheitert ist. So ordnen die Soldaten zwar schnell die Besetzung des staatlichen Senders TRT an, die dann auch glückt. Zu lange aber vernachlässigen sie die sozialen und die privaten Medien.

Zwar schreibt ein Oberst gegen Mitternacht in den Chat: "Private Fernsehstationen müssen zum Schweigen gebracht werden." Offensichtlich aber ist es schon zu spät: Über den Privatsender CNN Türk gelingt es Staatspräsident Erdoğan, um 00:26 Uhr, die türkische Bevölkerung zum Widerstand aufzurufen. Kurz darauf füllen sich schnell die Straßen - und immer mehr Militärs schreiben in der Whatsapp-Gruppe, sie bräuchten Verstärkung. Die jedoch kommt kaum durch.

Nach und nach dämmert den Putschisten, dass sie scheitern werden. Zum Schluss fragt ein Oberst im Chat: "Sollen wir fliehen?" Ein Major antwortet: "Bleiben Sie am Leben (...). Sie haben die Wahl. Wir haben noch nicht entschieden, aber wir haben unsere Stellungen verlassen. Ich schließe die Gruppe. Löschen Sie die Nachrichten, wenn Sie mögen."

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