Türkei:Wissen, was der Präsident will

Neuer Regierungschef wird wohl ein alter Weggefährte von Recep Tayyip Erdoğan, von dem keine Konflikte zu erwarten sind. Bisher hat Binali Yıldırım als Verkehrsminister gedient.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Noch hängt in der berühmten Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal ein Großplakat mit dem Gesicht von Regierungschef Ahmet Davutoğlu. Aber es ist Zeit, Abschied zu nehmen. An diesem Donnerstag will die alleinregierende islamisch-konservative AKP bekannt geben, wer beim Sonderparteitag am Sonntag Davutoğlus Nachfolge als Parteichef und - so funktioniert die Machtlogik in dieser Partei - dann auch als Regierungschef antritt.

Der Kandidat werde nach einer Vorstandssitzung präsentiert, kündigte die AKP an. Im Moment läuft die nicht ganz einfache Aufgabe, Regierungschef unter einem faktisch regierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu sein, auf Verkehrsminister Binali Yıldırım zu. Der 60-jährige Schiffbauingenieur ist ein wirklich langjähriger Weggefährte, man kennt sich aus Zeiten, als Erdoğan Bürgermeister von Istanbul war. Yıldırım dürfte wissen, was Erdoğan will und vor allem: was nicht.

Es ist jetzt fast zwei Wochen her, dass Erdoğan Davutoğlu aus dem Amt gedrängt hatte. Auslöser für dessen Rückzug aus der Spitzenpolitik war vordergründig ein Zerwürfnis zwischen ihm und der Partei. Der AKP-Vorstand hatte Davutoğlu überraschend die Befugnis entzogen, regionale Funktionäre benennen zu dürfen. Damit wurde deutlich, wie wenig Davutoğlu die Partei hinter sich wusste. Als Führungsperson erkennt die AKP lediglich ihren Mitbegründer Erdoğan an, der sich jedoch mit der Beförderung zum Staatspräsidenten 2014 formal von der Partei lösen musste.

Der Schwiegersohn des Staatsoberhaupts musste zurückstehen

Davutoğlu hatte seit seiner Ernennung zum Partei- und Regierungschef wiederholt eine eigene Agenda verfolgt, immer wieder kam es hinter den Kulissen zu Reibereien mit Erdoğan. Ihm kam nun der Dauerkonflikt gelegen, um seiner Partei vor Augen zu führen, dass das Modell "Starker Staatspräsident, starker Premier" angeblich nicht funktioniere. Er arbeitet seit längerer Zeit auf das Ziel hin, ein Präsidialsystem in der Türkei einzuführen, das mehr Macht in seiner Hand bündelt.

Am 5. Mai erklärte Davutoğlu, den Parteivorsitz freizumachen. Der Personalwechsel soll auch schleichend den Systemwechsel einleiten. Die türkischen Politik- Kommentatoren sind sich weitgehend einig, dass der neue Premier den Übergang zum Präsidialsystem energischer verfolgen wird als Davutoğlu dies tat. Erdoğan erklärte bereits am Tag nach dem angekündigten Rückzug, es gebe auch kein Zurück mehr. Die Partei scheint jedenfalls entschlossen, beim Parteitag am Sonntag ein Bild der Geschlossenheit abzugeben. Es soll keine Kampfkandidatur geben. Um den Schein innerparteilicher Demokratie zu wahren, hat die AKP in den vergangenen Tagen ihre Funktionäre nach ihrem Wunschkandidaten befragt. Demnach soll Yıldırım die Liste der möglichen Nachfolger anführen. Anfangs war auch Erdoğans Schwiegersohn, Energieminister Berat Albayrak, als Kandidat gehandelt worden. Nun heißt es, seine Zeit sei noch nicht gekommen.

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