Türkeibesuch:Merkel sagt in der Türkei, was zu Hause alle hören wollten

Binali Yildirim, Angela Merkel

Erstmals seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli besucht Angela Merkel Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Themen waren heikel.

(Foto: Lefteris Pitarakis/AP)
  • Die Themenliste bei Merkels Besuch in Ankara ist lang, Erdoğan zeigt sich mit den Ergebnissen der Gespräche zufrieden.
  • Merkel dagegen äußert Kritik am Vorgehen der Türkei nach dem Putschversuch im Sommer.
  • Sie wirkt sichtlich selbstbewusster im Ton und macht damit die Begegnung zu ihrem Auftritt.

Von Mike Szymanski, Ankara

An der Wand hinter Angela Merkel und Recep Tayyip Erdoğan hängen zwei Gemälde. Sie könnten - im Entferntesten - Charakterstudien dieser beiden Politiker sein. Das Bild über der Schulter von Erdoğan zeigt die wilde, schier unbändige See, in der ein Schiff mit den Gewalten der Natur zu kämpfen hat. Und hinter Merkel? Stilles Wasser. Typisch.

Und doch arbeitet es in Merkel heute. Man sieht es nur nicht an der Oberfläche. Erst mal hat Erdoğan das Wort. Er ist am Donnerstag Gastgeber. Er hat sie vor zweieinhalb Stunden in seinem protzigen Palast empfangen. Sie haben mit ihren Delegationen gesprochen und dann noch unter vier Augen. Erdoğan, das wird schnell deutlich, ist heute nicht in Stimmung, ein Unwetter über Merkel niedergehen zu lassen.

Im gut gepolsterten Stuhl lässt der Gastgeber alles über sich ergehen

Er referiert, worüber sie alles gesprochen hätten und scheint gar nicht mehr aufhören zu können: Wirtschaft, Flüchtlinge, Putschversuch, PKK-Terror, Verteidigung, Verhältnis zu Griechenland. Nur einmal wird er deutlich: Beim Anti-Terror-Kampf werde er keine Zugeständnisse machen. Er schließt mit den Worten, dass "unsere Länder in Solidarität zusammenstehen" sollten. War das wirklich schon der aufbrausende Erdoğan, der sonst kaum mehr ein freundliches Wort über Europa verliert? Ja, war er. Und dann kommt die nächste Überraschung: Merkel.

Es soll nur ein kurzes Statement sein, aber das hat es in sich. Jedes Wort scheint gut zurechtgelegt, als wolle sie keine Zeit verlieren. Das Gespräch mit Erdoğan: "intensiv und sehr ausführlich". Der Putschversuch vom vergangenen Jahr: Es sei wichtig, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Dann aber kommen die Worte, die in Deutschland Politiker aus der Opposition, aber auch aus der Regierung von ihr hören wollten: Dass das Land dennoch die Meinungs- und Pressefreiheit einhalten müsse. Gerade weil das türkische Volk sich in der Putschnacht so mutig für die Demokratie im Land eingesetzt habe.

Erdoğan lässt das alles erst mal über sich ergehen. Er sitzt in seinem gepolsterten Stuhl in seinem Empfangszimmer, das groß ist wie eine Turnhalle, und lässt Merkel reden. Angesprochen auf Erdoğans Pläne für den Wechsel zum Präsidialsystem, das ihn faktisch zum Alleinherrscher machen würde, sagt sie: "Opposition gehört zu einer Demokratie dazu. Das erfahren wir alle miteinander jeden Tag." Deutlich wird Merkel auch beim Streit über die Imame des Moscheen-Dachverbands Ditib, die in Deutschland bei der Suche nach Putsch-Unterstützern Glaubensbrüder ausgeforscht haben sollen. Die Türkei könne sich darauf verlassen, dass der deutsche Rechtsstaat seine Arbeit schon mache.

Widerworte von Erdoğan? Kaum. Dass er die Demokratie in der Türkei abschaffen wolle, hält er für eine Unterstellung der Opposition, die falsch informiere. Er geht vor der Presse nicht mal auf Merkels Vorschlag ein, OSZE-Beobachter bei der Volksabstimmung zum Referendum im April einzusetzen, obwohl der auch von großem Misstrauen zeugt. Erdoğan lässt es über sich ergehen.

Was ihn wirklich geärgert haben muss, ist, dass Merkel von "islamistischem Terror" gesprochen hatte. "Terror ist nicht vereinbar mit dem Islam", hält er Merkel vor. "Diesen Begriff sollte man so nicht verwenden." Eigentlich wäre an dieser Stelle Schluss mit dem gemeinsamen Presseauftritt. Aber das letzte Wort nimmt sich Merkel, sie sagt, sie wolle noch ein paar Worte an die Türkei richten. "Ich möchte, dass die Menschen in der Türkei jedenfalls wissen, dass wir Muslime nicht nur achten und schätzen, sondern dass wir gut miteinander zusammenarbeiten wollen."

Es heißt, diese Reise sei für Merkel nicht einfach. Aber welche Reise von Merkel in die Türkei in den vergangenen Jahren war das schon? Wenn Merkel kommt, dann mittlerweile nur noch aus einer defensiven Position heraus. Als sie im Herbst 2015 Erdoğan traf, sah sie sich regelrecht zu dieser Reise gezwungen. Die Flüchtlingskrise hatte auch Deutschland auf die Probe gestellt. Merkel musste die Türkei als Partner für ein Flüchtlingsabkommen gewinnen. Damals empfing Erdoğan Merkel im Istanbuler Sternenpalast. Der Raum steckte voller Prunk. Wenn es ein Bild gibt, das aus der Zeit von Merkel und Erdoğan in Erinnerung bleiben wird, dann ist es wohl dieses, wie Merkel in dem goldenen, thronähnlichen Sessel zu versinken droht. Ihr Unwohlsein war ihr körperlich anzumerken. Sie übersah sogar, wie Erdoğan ihr die Hand reichte.

Und dieses Mal? Sie macht die Begegnung zu ihrem Auftritt. War er nun Wahlkampfhilfe für Erdoğan und dessen Präsidialsystem, wie die Opposition meinte? Das kann hinterher eigentlich niemand mehr ernsthaft behaupten. Erdoğan hat sich aber auch keinen Millimeter auf Merkel zubewegt. Im deutsch-türkischen Verhältnis ist jedenfalls am Donnerstag nicht noch mehr zerbrochen. Das gilt für Erdoğan, aber auch für Merkel.

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