Türkei:Schwacher starker Mann

Der anhaltende Terror torpediert Erdoğans Ambitionen.

Von Mike Szymanski

Häufig heißt es, der Terror spiele dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in die Hände. Die Türken würden angesichts der Attacken einen in seiner Machtfülle gestärkten Anführer befürworten. Erdoğan argumentiert selbst, dass er möglichst freie Hand brauche. Deshalb will er rasch den Wechsel zu einem Präsidialsystem türkischer Prägung, das ihn faktisch zum Alleinherrscher machen würde. Aber der jüngste Anschlag auf einen Nachtclub in Istanbul hilft ihm dabei keineswegs.

Der Terror wird auch für Erdoğans persönliche Ambitionen zum Problem. Die Regierung hat zum zweiten Mal den Ausnahmezustand verlängert. Er gilt jetzt bis Mitte April. Das ist, erstens, ein Zeichen der Schwäche, und, zweitens, ziemlich misslich für Erdoğan, weil es seinen Zeitplan durcheinander bringen dürfte. Das Präsidialsystem muss erst noch vom Volk in einem Referendum angenommen werden. Ein zweimonatiger Wahlkampf gehört dazu. Ein solcher ist aber im Ausnahmezustand nicht denkbar. Eigentlich sollte das Referendum im Frühjahr stattfinden. Nun könnte es Sommer werden.

Wer einwendet, ein bisschen werde Erdoğan wohl noch warten können, übersieht: Wenn der Präsident mit den weitreichenden Befugnissen im Ausnahmezustand nicht in der Lage ist, den Terror einzudämmen, wie will er dann die Bürger davon überzeugen, dass sein Präsidialsystem das Richtige für die Türkei ist?

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