Türkei-Reise von Kanzlerin Merkel:Mehr als eine freundliche Geste

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Im Oktober 2012 empfing die Kanzlerin den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Bundeskanzleramt, jetzt reist Merkel in die Türkei. (Foto: dpa)

Menschenrechte, Antiterrorgesetze, die neue türkische Verfassung: Darüber dürfte Merkel bei ihrem Türkei-Besuch mit Ministerpräsident Erdogan sprechen. Ungewöhnlich ist, dass sie auch christliche Denkmäler aufsucht - eine wichtige Geste zu einer Zeit, in der gegenseitige Vorwürfe die deutsch-türkische Beziehung belasten.

Von Nico Fried, Berlin, und Christiane Schlötzer, Istanbul

Touristische Abstecher vermeidet Bundeskanzlerin Angela Merkel gewöhnlich bei ihren Reisen. In der Türkei wird sie nun frühchristliche Kulturdenkmäler besuchen. Das sei eine Reverenz an das uralte Kulturland Türkei, hieß es im Kanzleramt. Merkels Visite dürfte jedoch mehr sein als eine freundliche Geste. Ein Besuch der beeindruckenden Höhlenkirchen von Kappadokien, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, erinnert schließlich auch daran, dass es in der Türkei auch heute noch einige wenige Christen gibt, die Ankara bitte nicht vergessen soll.

Symbolwert hat auch die Stippvisite bei den 280 deutschen Soldaten im südtürkischen Kahramanmaras. Zwei Patriot-Abwehrbatterien sind dort seit Kurzem stationiert, 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Im Ernstfall sollen sie syrische Raketen abschießen. Dass dieser Ernstfall eintritt, erwartet die Nato eigentlich nicht. Trotzdem hat sie, einem türkischen Wunsch folgend, die Patriots aus Deutschland, den Niederlanden und den USA in die Türkei verlegt - aus Solidarität mit dem Bündnispartner.

Vorwürfe statt freundliche Gesten

Politik besteht auch aus bedeutungsschweren oder nur freundlichen Gesten. Im deutsch-türkischen Verhältnis gab es zuletzt nicht viele davon. Eher dominierten die gegenseitigen Vorwürfe. Deutschland tue zu wenig, um der Türkei bei der Bekämpfung des Terrors zu helfen, hieß es immer wieder in Ankara.

Gemeint war vor allem die kurdische PKK, deren Anhänger auch in Deutschland bei Landsleuten Millionen einsammelten, um sie in ihren blutigen Kampf zu investieren. Erst im Oktober habe man eine engere Zusammenarbeit vereinbart, ließ das Kanzleramt nun vor der Merkel-Reise, die am Sonntag beginnt, wissen. Seit 2004 habe es in 3000 Fällen Ermittlungen im Zusammenhang mit der PKK in Deutschland gegeben. Rechtsstaatliche Standards müssten aber gewahrt werden. Da habe die Türkei manchmal zu einfache Vorstellungen. Die türkische Regierung hat nun jüngst damit begonnen, mit Führern der PKK direkt über Friedenspläne zu verhandeln, nach einem viertel Jahrhundert Blutvergießen.

Türkei soll Militär unter zivile Kontrolle bringen, fordert die EU

Menschenrechte, Antiterrorgesetze, die neue türkische Verfassung: All diese Themen dürfte Merkel bei ihren Gesprächen am Montag mit Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül anschneiden. Das Allparteien-Komitee im Parlament, das den Verfassungsentwurf ausarbeitet, hat gerade einen Durchbruch errungen, auf den Erdogan hinweisen dürfte. Der Generalstab der türkischen Armee soll künftig, so der einhellige Beschluss, dem Verteidigungsminister unterstellt werden. Die EU hat von der Türkei immer wieder verlangt, ihr Militär, das seit 1960 vier Mal geputscht hat, unter zivile Kontrolle zu bringen.

Die Regierung in Ankara hofft auf einen Neustart der eingefrorenen EU-Gespräche. Merkel dürfte dazu kaum kategorisch Nein sagen, aber auf Einschränkungen der Presse- und der Religionsfreiheit hinweisen. 15 Wirtschaftsvertreter begleiten Merkel. Ihr Interesse gilt vor allem den türkischen Boom-Branchen, von der Energiewirtschaft bis zur Luftfahrt. ,

© SZ vom 23.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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