Türkei:Referendum rückt näher

Mehr Macht für Präsident Erdoğan? Er wünscht sich ein Präsidialsystem mit mehr Befugnissen. Darüber soll nun das Volk entscheiden.

Von Mike Szymanski, Istanbul

In der Frage, wie viel Macht Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan künftig haben soll, steuert die Türkei auf eine Volksabstimmung zu. Erdoğan wünscht sich ein Präsidialsystem, das ihm mehr Befugnisse gibt. Dafür ist eine Verfassungsänderung nötig, allerdings fehlt seiner allein regierenden AKP im Parlament die nötige Zweidrittelmehrheit. Nun hat die ultranationalistische Oppositionspartei MHP angekündigt, eine Volksabstimmung über diese Frage zu unterstützen. Um ein Referendum anzustoßen, sind 330 Stimmen im 550 Abgeordnete umfassenden Parlament erforderlich. Mithilfe der MHP kann die AKP dieses Ziel erreichen.

Sie verfügt allein über 317 Abgeordnete. Mit Ausnahme des von der AKP gestellten Parlamentspräsidenten sind sie alle stimmberechtigt. Ihr fehlen mindestens 14 Stimmen. Die MHP stellt 40 Abgeordnete. Premier Binali Yıldırım kündigte an, "so schnell wie möglich" dem Parlament einen Entwurf für die Verfassungsänderungen vorlegen zu wollen. Aus AKP-Parlamentskreisen hieß es, womöglich könne das Volk bereits im nächsten Frühjahr abstimmen.

Die Opposition ist der Ansicht, die Türkei habe andere Probleme als Erdoğans Amtsauffassung

Die Pläne für den Systemwechsel sind in der Türkei umstritten. Bei der Parlamentswahl im Juni 2015 musste Erdoğans AKP noch eine herbe Niederlage einstecken, weil viele Wähler nicht davon überzeugt waren, dass Erdoğan mehr Macht bekommen soll. Seine Partei verlor - für kurze Zeit - die absolute Mehrheit, bis Neuwahlen im November die Kräfte-Verhältnisse wieder in Erdoğans Sinne korrigierten.

Auch die Opposition hat alles unternommen, um das Machtstreben des Präsidenten zu bremsen. Nun gibt die MHP ihre Blockade auf - obwohl ihr Vorsitzender Devlet Bahçeli sagt, seine Partei gebe einer Reform des parlamentarischen Systems den Vorzug. "Wir haben aber keine Angst, die Nation zu befragen." Aus seiner Sicht agiert Erdoğan, als habe das Land den Systemwechsel bereits vollzogen. "Dieser Zustand verstößt gegen die Verfassung", sagte er. "Entweder hört der Staatspräsident damit auf. Das ist unser Wunsch. Oder dieser Zustand bekommt eine juristische Legitimation." Wenn alle Bedingungen erfüllt seien, würde seine MHP nicht zögern, "unsere Bevölkerung für die Lösung dieses Problems zu befragen".

Kemal Kılıcdaroğlu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, hatte in den vergangenen Tagen sein Unverständnis über Erdoğans Plan zum Ausdruck gebracht. "Das Land hat so viele Probleme. Aber eine Person hat ein ganz spezielles Problem: ihr Amt." Wie das Präsidialsystem ausgestattet sein könnte, steht noch nicht fest. Es könnte sich am amerikanischen Modell orientieren oder am französischen. Eine Kopie soll es aber nicht werden, die Rede ist von einem System türkischer Prägung. Sollte sich Erdoğan durchsetzen, setzt er den Schlusspunkt einer Debatte, die 2007 begann. Damals wurde per Verfassungsänderung festgelegt, dass die Bürger direkt über ihr Staatsoberhaupt abstimmen können. Erdoğan gewann 2014 die Wahl mit 52 Prozent der Stimmen. Aus diesem Erfolg leitet er seinen Wunsch nach mehr Einfluss ab.

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