Türkei: Premier Recep Tayyip Erdogan:Auf dem Gipfel der Macht

Früher nannten sie ihn "Imam Beckenbauer" - jetzt hat er den dritten Wahlsieg in Folge geschafft: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan hat sein Land modernisiert und die Wirtschaft ausgebaut. Doch Gegner werfen ihm vor, dass er heimlich eine islamische Staatsordnung einführen will.

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Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan greets his supporters at the AK Party headquarters in Ankara

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Früher nannten sie ihn "Imam Beckenbauer" - jetzt hat er den dritten Wahlsieg in Folge geschafft: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan hat die Türkei modernisiert und die Wirtschaft ausgebaut. Doch Gegner werfen ihm vor, dass er heimlich eine islamische Staatsordnung einführen will. Seine Karriere in Bildern.

Feierstimmung in Zentrum der religiös-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP): Die Partei von Premier Tayyip Erdogan kommt nach der Auszählung aller Stimmen der Parlamentswahl in der Türkei auf 49,9 Prozent. Sie erhalte damit 326 Mandate in dem 550 Sitze zählenden Parlament, berichteten türkische Fernsehsender. Zwar kann die AKP damit alleine regieren, für die angestrebte Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament hat es aber nicht gereicht.

Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan is in a campaign event for

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Selbstbewusst präsentierte sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schon bei einem Wahlkampfauftritt in Istanbul am 5. Juni. Kein Wunder: In allen Umfragen hatte sich ein Sieg seiner religiös-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) abgezeichnet.

Turkish PM Erdogan makes a speech under Turkish and EU flags in Istanbul

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Das Leben Erdogans liest sich wie die türkische Version des amerikanischen Traums: 1954 wird er in einer streng gläubigen Familie in Istanbul geboren, er wächst in sehr bescheidenen Verhältnissen im Armenviertel Kasimpasa auf. Sein Vater, ein frommer Seemann, schickt ihn auf eine islamische Religionsschule. Am liebsten wäre er Fußballprofi geworden, wegen seiner Ballkünste bekommt er den Spitznamen "Imam Beckenbauer". Doch er beugt sich dem Willen des Vaters und studiert Wirtschaftswissenschaften und Politologie an der Marmara-Universität in Istanbul, später wird er erfolgreicher Unternehmer.

RECEP TAYYIP ERDOGAN

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Als Student schließt sich Erdogan der fundamentalistischen Nationalen Heilspartei (MSP) des Islamistenführers Necmettin Erbakan an und macht in der Jugendorganisation schnell Karriere. Doch 1980 putscht sich das Militär an die Macht, alle politischen Aktivitäten werden verboten. Erst im Mai 1983 kann Erdogan seine politische Arbeit fortsetzen. 1994 nominiert die islamisch-fundamentalistische Wohlfahrtspartei (RP) ihn zum Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters in der Wirtschaftsmetropole Istanbul. Erdogan gewinnt überraschend die Wahl.

Necmettin Erbakan, Recep Tayyip Erdogan und Sevket Kazan, 1998

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Bei seinem Amtsantritt kündigt der damals 40-Jährige an, in der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei "aufräumen" zu wollen. Er wolle Bordelle verbieten und eigene Badestrände für Frauen einrichten, erklärt der strenggläubige Muslim, der sich selber als "Prediger von Istanbul" bezeichnet und weiterhin zu seinem Mentor Erbakan steht. Beliebtheit verschafft er sich, weil er die Müllhaufen aus Istanbul entfernt und die Probleme mit der Wasserversorgung beseitigt. Doch sein offen zur Schau getragener muslimischer Glauben stößt in der laizistischen Türkei auf Kritik. Unter anderem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Erdogan wegen Beleidigung des Gründers der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk.

ISTANBULER BRGERMEISTER WEGEN AUFHETZUNG ZUM HASS VERURTEILT

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Insbesondere den laizistisch gerichteten Streitkräften des Landes gilt der religiöse Politiker als Bedrohung. Im April 1998 verurteilt ein Staatssicherheitsgericht Erdogan wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten Haft, weil er in einer Rede aus einem Gedicht des Vaters des türkischen Nationalismus, Ziya Gökalp, zitiert hat: "Die Minarette sind unsere Bajonette, die Moscheen sind unsere Kasernen." Daraus formte dann das Gericht "Volksverhetzung". Zudem erhält er ein lebenslanges Politikverbot, sein Amt als Istanbuler Oberbürgermeister muss er niederlegen. Im März 1999 tritt er seine Haft an, nach vier Monaten wird er entlassen. Das Foto zeigt Erdogan einen Tag nach der Bekanntgabe seiner Verurteilung auf einer Pressekonferenz.

ERDOGAN GUL

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Nach seiner Haft distanziert sich Erdogan von seinem Ruf als Islamist in der türkischen Politik und bezeichnet die Religionsausübung als persönliche Angelenheit. Damit punktet er bei den Wählerschichten, die ihm bislang skeptisch gegenüber standen. Im August 2001 gründet er gemeinsam mit Abdullah Gül, dem heutigen Staatspräsidenten, eine neue politische Formation unter dem Namen "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP), bei der Parlamentswahl 2002 ...

ERDOGAN

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... gelingt Erdogans Partei mit 34,4 Prozent der Stimmen ein deutlicher Sieg. Die AKP zieht mit 363 von 550 als stärkste Partei in das Parlament in Ankara ein. Weil gegen Erdogan nach wie vor das Politikverbot gilt, übernimmt zunächst sein Stellvertreter Abdullah Gül das Amt des Ministerpräsidenten. Erdogan selbst kann erst im Jahr 2003 nach einer Verfassungsänderung das Amt antreten - und verfolgt die Annäherung der Türkei an die EU. Sein Ziel: ein schneller Beitritt seines Landess

Gerhard Schröder und Recep Tayyip Erdogan, 2004

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In Deutschland findet Erdogan für diese Pläne Unterstützung bei dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Bei einem Besuch in Ankara im Jahr 2004 lobt er Erdogan für die umgesetzten Reformen und sichert dem türkischen Premier zu, dass sich Ankara bei den Beitrittsgesprächen auf Deutschland verlassen könne.

Turkey's Prime Minister Erdogan attends a signing ceremony with Brazil's President da Silva at Itamaraty Palace in Brasilia

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Doch bereits ein Jahr nach Beginn der Beitrittsverhandlungen, im Herbst 2006, stecken die Gespräche zwischen Erdogan und der Europäischen Union in einer schweren Krise: Die Türkei verweigert Flugzeugen und Schiffen aus Zypern den Zugang zu ihren Flughäfen und Häfen. Dazu ist die Türkei aber aus Sicht der EU im Zuge des Assoziierungsabkommens verpflichtet, das auch für das neue EU-Mitglied Zypern gilt. Seither kommen die Verhandlungen nur schleppend voran. Im März 2011 verabschiedet das EU-Parlament eine Resolution, wonach die Türkei noch nicht für einen Beitritt bereit sei. In einem Fortschrittsbericht stellt die Kommission gravierende Mängel bei der Wahrung der Grundrechte fest.

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Stetig aufwärts hingegen geht es für Erdogan in seiner Heimat: Bei den Parlamentswahlen 2007 erreicht die AKP 46,7 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit im Parlament. Erdogan, der sich nach dem Wahlsieg mit seiner Frau Emine seinen Anhängern zeigt, nennt als wesentliche Ziele seiner Politik er die Fortführung der wirtschaftlichen und demokratischen Reformen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen hatte Erdogan noch mit dem Präsidentschaftsamt geliebäugelt. Nachdem es zu Massenprotesten kam, beschloss er, auf die Kandidatur zu verzichten. Seine Gegner fürchteten, er wolle den laizistischen zu einem islamischen Staat umbauen.

Türkischer Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

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Im Februar 2008 wird der türkische Premier von seinen Landsleuten in Deutschland wie ein Popstar empfangen - und sorgt mit seinem Auftritt in der Köln Arena für Furore: Er fordert die etwa drei Millionen Deutschtürken in Deutschland dazu auf, sich zu integrieren, lehnt aber gleichzeitig die Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vehement ab. Einen ähnlichen Wirbel löst Erdogan im Februar 2011 in Düsseldorf aus. Erneut appelliert Erdogan an das türkische Nationalgefühl seiner Landsleute und löst mit seinen Äußerungen eine Debatte in den deutschen Medien aus. Anlass seiner Deutschlandreise war die Eröffnung der Industriemesse Cebit, bei der die Türkei als Gastland im Mittelpunkt stand.

Turkish Prime Minister Tayyip Erdogan stands in front of the map of Turkeyduring visit to Semdinli

Quelle: REUTERS

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Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: Erdogan hat den armen EU-Anwärter Türkei zu einer Regionalmacht aufgebaut. Das Land ist reicher und moderner denn je, ihre Wirtschaft wächst im Vergleich zu anderen europäischen Staaten dreimal so schnell. Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zum Vorjahr mit einer 2,9 Quote auf 11,5 Prozent gesunken. Die Gesamtverschuldung liegt bei 41 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - ein Wert, von dem die EU-Mitgliedstaaten nur träumen können.

TURKEY-POLITICS-COURT-ERDOGAN-FEATURE

Quelle: AFP

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Doch inzwischen werfen ihm Kritiker vor, seine Regierung weise allmählich autokratische Züge auf. Bedenken gibt es insbesondere wegen des relativ harten Vorgehens der Polizei gegen regierungsfeindliche Proteste. Beobachter befürchten, die Machtkonsolidierung seiner Regierung untergrabe Versprechen, die türkische Demokratie zu stärken.

Tuncay Ozkan

Quelle: AP

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Beispielhaft dafür steht die Justizfarce um den Ergenekon-Prozess: In dem Verfahren geht die AKP-Regierung seit 2007 gegen mutmaßliche Verschwörer aus Militärkreisen vor. Doch je länger sich das Verfahren zog, desto größer wurde auch der Kreis der Festgenommenen: oppositionelle Professoren, Juristen, Journalisten, Beamte. Das Gerichtsverfahren war immer mehr zum Instrument der Regierung geworden, um Kritiker aus dem Weg zu räumen.

Demonstranten protestieren vor dem Gefängnis in Silivri im Jahr 2008 gegen die Verhaftung der festgenommenen Ergenekon-Mitglieder.

Turkey's Prime Minister Erdogan storms out of a debate on the Middle East at the World Economic Forum in Davos

Quelle: Reuters

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Wie emotional Erdogan auf Kritik reagiert, zeigt sich 2009, als es beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum Eklat kommt. Auf einer Podiumsdiskussion zum Nahost-Konflikt verteidigt der israelische Staatspräsident Shimon Peres die Intervention im Gazastreifen - ein indirekter Angriff auf die Türkei. Als der Moderator Erdogan aus "Zeitmangel" nicht mehr ausreichend Redezeit gewährt, verlässt dieser wutentbrannt den Saal.

Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan is in a campaign event for

Quelle: dpa

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Im September 2010 billigen die Türken die umfassendste Verfassungsreform seit Jahrzehnten: Das Änderungspaket, das Erdogans Regierung vorgelegt hat, erhält etwa 58 Prozent Zustimmung. Türkische Bürger können seither erstmals von Individualklagen vor dem Verfassungsgericht anstreben. Umstritten ist eine Justizreform, die Präsident und Parlament mehr Einfluss auf die Auswahl hoher Richter einräumt.

Recep Tayyip Erdogan

Quelle: dpa

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Erdogan hat viel erreicht und regiert inzwischen länger als Merkel oder Obama. Und er strebt nach mehr: Der 57-jährige will eine neue Verfassung einführen. Manche Experten vermuten, dass Erdogan ein Präsidialsystem nach französischem oder amerikanischen Vorbild vorschwebt - der Präsident hätte dann eine mächtige Position und würde direkt vom Volk gewählt werden.

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Quelle: AP

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Auch wenn Erdogan-Anhänger bis tief in die Nacht in den Straßen von istanbul und Ankara feierten - der Erfolg des Premiers, der sich gerne als Volkstribun inszeniert, bleibt durch das Nicht-Erreichen der Zwei-Drittel-Mehrheit getrübt. Zwar wird die AKP für die kommenden vier Jahre die Türkei alleine regieren, eine Verfassungsänderung im Alleingang ist aber nicht möglich.

(sueddeutsche.de/Julia Berger/ehr)

© sueddeutsche.de/afp/dpa/jube/hai/mati/ehr
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