Türkei:Nach oben gekämpft

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Dass Februniye Akyol-Akay Bürgermeisterin wurde, verdankt sie möglicherweise auch der Initiative des Kurden-Führers Abdullah Öcalan. (Foto: Emin Ozmen/SIPA)

Februniye Akyol-Akay ist die erste christliche Bürgermeisterin der Türkei. Sie steht für neue Freiheiten der Kurden, Araber und Christen.

Von Monika Maier-Albang, München

Nun ist also passiert, wovor sie sich seit Monaten gefürchtet haben: Der Krieg ist in die Türkei gekommen. Wobei die Vorboten ja längst da waren in Mardin, das 200 Kilometer östlicher liegt als Suruç, aber ebenso nah an der syrischen Grenze - nur ein paar sommerdürre Getreidefelder von den Sperranlagen entfernt. Tausende Flüchtlinge hatten sie hier schon zu versorgen, in dieser uralten Stadt am Hang mit weitem Blick auf die mesopotamische Tiefebene: Jesiden aus Şengal, Kurden aus Kobanê. Mardins Bürgermeisterin Februniye Akyol-Akay war vergangenes Jahr kaum im Amt, als die Provinzverwaltung für die Flüchtlinge Zelte und Essen organisieren musste. "Ankara hat uns da schon im Stich gelassen", schimpft die 26-Jährige. Und weil sie damals schon befürchteten, dass IS-Kämpfer - auch mit Wissen türkischer Wachposten, wie hier viele argwöhnen - durch die Grenzen sickern könnten, stellten sie in Mardin eine Bürgerwehr auf. Sie dürfte jetzt noch mehr Zulauf bekommen.

Seit März vorigen Jahres ist Februniye Akyol-Akay Bürgermeisterin der Großstadt-Region Mardin, in einer Gegend, der der Krieg nun noch näher gerückt ist. Und in der sich parallel ein erstaunlicher Wandel vollzieht: Das Leben ist für viele Kurden, Araber, Christen dort freier geworden seit den letzten Regionalwahlen. Akyol-Akay etwa ist die erste Christin im Bürgermeister-Rang in der Türkei. Die Demokratische Regional-Partei (DBP), für die sie antrat, hatte je einen Mann und eine Frau an die Spitze der Listen gesetzt - und eroberte so 105 Rathäuser. Mardin war zuvor von Erdoğans AKP regiert worden. Im türkischen Kommunalwahlrecht ist die Doppelspitze nicht vorgesehen, bislang aber wird das Konstrukt geduldet. Akyol-Akays Co-Bürgermeister, der 72-jährige Kurde Ahmet Türk, nahm am Dienstag an der Beisetzung der Opfer des Anschlags von Suruç teil.

Die Doppelbesetzung der Bürgermeister-Posten hat im Kurdengebiet eine Reihe junger Frauen an die Macht gebracht, die sich schon äußerlich von den vollverschleierten IS-Unterstützerinnen abheben, die es nach Syrien zieht. Alle diese Neueinsteiger-Politikerinnen sind Feministinnen, gut ausgebildet - und entschlossen. Ohne diese Eigenschaft wäre auch Akyol-Akay nicht auf ihrem jetzigen Posten, Quote hin oder her. "Frauen werden nach wie vor bei uns unterdrückt", sagt Akyol-Akay. Dagegen tut sie etwas. Seit Kurzem hat Mardin ein Frauenzentrum. Es kommen Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen, Frauen, die nicht einmal die Grundschule beenden konnten und jetzt eine Ausbildung bekommen; im Zentrum werden Nähunterricht, Silberflechten, PC-Kurse angeboten.

Mit der Bestimmtheit, mit der sie auftritt, hat Akyol-Akay sich schon das Studium erstritten. Die Eltern wollten nicht, dass ihr jüngstes von acht Kindern nach Istanbul zieht. Zwei Jahre lang hat ihre Tochter an sie hingeredet, zuletzt mit der Drohung: "Wenn ihr mich nicht gehen lasst, werde ich verrückt." Am Ende studierte sie als einzige Frau aus ihrem Abi-Jahrgang.

Der Frauenanteil im städtischen Dienst wurde von sieben auf 30 Prozent erhöht

Akyol-Akay lernte Versicherungswesen - und kehrte zurück nach Mardin. Drei ihrer Brüder, auch zwei Schwester wohnen in Deutschland, wohin schon ein Onkel in den 1990er-Jahren ausgewandert war. "Aber wenn unsere jungen Leute gehen, stirbt die assyrische Kultur", sagt sie. Akyol-Akay gründete 2012 die erste christliche Jugendorganisation in der Region. So wurde die DBP auf sie aufmerksam, die gezielt nach einer Christin für die Regionalliste suchte. Abdullah Öcalan selbst soll dies vom Gefängnis aus "angeregt" haben. Die religiösen Minderheiten im Land zu integrieren ist erklärtes Ziel der kurdischen HDP, die ihren überraschenden Einzug ins türkische Parlament Anfang Juni der Forderung nach mehr regionaler Selbstverwaltung verdankt. Rund 3000 Christen leben heute noch im Tur Abdin, einer Gebirgsregion, in der die ältesten Klöster der Welt liegen, in denen noch die Sprache Jesu, Aramäisch, gesprochen wird. Etwa Mor Gabriel mit seinen kunstvoll verzierten Sandsteinfassaden, dessen Mönche seit Jahren gegen den türkischen Staat prozessieren - es geht um Gebietsansprüche und um das Recht auf mehr Selbstbestimmung.

Die Rechte der Minderheiten, Umweltschutz, auch das gehört zur Agenda der HDP. In Mardin forsten sie jetzt Wälder auf. Ein arabisches Reiterturnier, Hadnan Bagci, das 30 Jahre lang verboten war, findet wieder statt. Neu ist auch, dass die Stadt Busfahrerinnen ausbildet - noch so eine Männerdomäne, die geschleift werden soll. Der Anteil der Frauen im städtischen Dienst sei im vorigen Jahr von sieben auf 30 Prozent gestiegen, sagt Akyol-Akay; 200 Frauen sind nun bei der Großstadtkommune angestellt. Seit Kurzem sprechen die Erzieherinnen mit ihren Kindern nicht mehr nur in der Amtssprache Türkisch, sondern auch Kurdisch, Aramäisch und Arabisch. Das ist nicht legal. Aber sie machen es nun halt so, im türkischen Hinterland, auf der anderen Seite des Grenzzauns.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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