Türkei nach der Wahl:Rivalen am Bosporus

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Türkei: Abdullah Gül (li.) ist kein Ja-Sager, der sich von einem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan herumkommandieren lassen würde.

(Foto: Kayhan Ozer/AFP)

Der Kampf um Macht und Posten ist eröffnet. Der türkische Präsident Gül will nach dem Ende seiner Amtszeit politisch aktiv bleiben. Das dürfte vor allem das künftige Staatsoberhaupt Erdoğan ärgern - und noch einige andere AKP-Rivalen.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Im Kurznachrichtendienst Twitter hat die Türkei derzeit zwei Präsidenten. Recep Tayyip Erdoğan hat nach der Wahl am vergangenen Sonntag bereits sein Twitter-Profil entsprechend aktualisiert und sich als "Präsident" bei der "geliebten Nation" für seinen Sieg bedankt. Aber Noch-Präsident Abdullah Gül, dessen Amtszeit erst am 28. August endet, präsentiert sich bei Twitter ebenfalls weiter als erster Mann im Staat. Ein derartiges Doppel-Präsidenten-Problem ist so neu für die Türkei wie die Volkswahl. Früher geschah der Stabwechsel im Parlament. Der eine ging - der andere sprach seinen Eid auf die Verfassung.

Das Novum schafft nicht nur Kuriositäten, sondern löst auch allerlei Spekulationen aus. Erdoğan und Gül haben einst gemeinsam die islamisch-konservative AK-Partei gegründet, im August 2001. Schon 2002 kam die AKP - in einer tiefen Wirtschaftskrise - erstmals an die Macht, mit absoluter Mehrheit. Seither hat sie neun Wahlen gewonnen. Gül war der erste Premier der AKP. Daran hat er nun selbst erinnert. "Ohne Zweifel werde ich in meine Partei zurückkehren, wenn meine Präsidentschaft endet", sagte Gül am Montag bei einem Empfang in Istanbul. Das sei doch nur "natürlich", setzte er hinzu.

Hektik in Ankara

Diese Ankündigung hat in Ankara Hektik ausgelöst, zumal Erdoğan zur selben Zeit die engste Parteispitze um sich geschart hatte. Nur etwa 30 Minuten nach Güls Auftritt überraschte Parteisprecher Hüseyin Çelik mit der Bekanntgabe, dass am 27. August ein außerordentlicher AKP-Parteitag stattfinden werde - also einen Tag bevor Gül offiziell sein Amt niederlegen und den Präsidentenpalast von Çankaya verlassen wird. Der Parteitag, so Çelik, werde über die Nachfolge Erdoğans, der nach der Verfassung aus der AKP austreten muss, entscheiden. Das klang wie 1:0 für Erdoğan - gegen Gül. Fatih Altaylı, Kolumnist der Zeitung Habertürk, schrieb am Dienstag: "Der neue Bewohner von Çankaya" wolle Gül als Parteichef verhindern. "Die nächsten Tage werden lustig werden", sagte Altaylı voraus.

"In Europa nichts verloren"

Nach Recep Tayyip Erdoğans Sieg bei der Präsidentschaftswahl will die CSU die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endgültig stoppen. "Die Erdoğan-Türkei hat in Europa nichts verloren", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. "Der künftige Präsident wird demokratische Werte mit Füßen treten, seine Macht ausbauen, Pressefreiheit einschränken wollen und weiter auf übelste Weise gegen Israel hetzen." Die CSU habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Türkei aus ihrer Sicht nicht in die Europäische Union gehöre, fuhr Scheuer fort. Nun erwarte seine Partei, dass auch "alle anderen zu dieser Einsicht gelangen". "Vielen dämmert es jetzt endlich, wenn man sich nur Erdoğans Reden und Taten genau anschaut", sagte Scheuer. Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir prophezeite im RBB, ein EU-Beitritt werde mit einem Präsidenten Erdoğan noch unwahrscheinlicher. Dieser mache aus der Türkei ein "zunehmend autoritäres Land". Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), sagte der Welt, die EU müsse aufpassen, dass Erdoğan nicht eine autokratische Machtfülle erlange. "Eine solche Entwicklung würde den Beitrittsverhandlungen mit der EU endgültig die Grundlage entziehen." SZ

Es heißt, Gül sei von Teilen der Partei ermuntert worden, seinen Hut noch einmal in den Ring zu werfen. Im Vergleich zu Erdoğan gilt der ebenfalls konservative Gül als verbindlicher und diplomatischer. Den beiden wird schon länger eine Rivalität nachgesagt. Premier könnte Gül erst einmal nicht werden, weil er nicht dem Parlament angehört, wie es die Verfassung vorschreibt. Aber dass Gül deutlich gemacht hat, dass er nicht aus dem Spiel ist, war Überraschung genug.

Nach der Wahl lauern viele Erdoğan-Vertraute auf ihre Chance

Schließlich hatte Gül noch im April erklärt, er sehe unter den aktuellen "Umständen" für sich keinen Platz mehr in der Politik. Zuvor hatte Gül das von Erdoğan forcierte Twitter-Verbot ebenso kritisiert wie Eingriffe in die Justiz. Offenbar haben sich die Umstände geändert. Gül gilt keinesfalls als Jasager, der sich von einem Präsidenten Erdoğan kommandieren lassen würde - im Gegensatz zu einigen der engsten Berater des bisherigen Premiers, die nun Aufstiegschancen haben.

Darunter wird vor allem Erdoğans wirtschaftspolitischer Chefberater Yiğit Bulut genannt, der eine Abkehr der Türkei von der EU empfiehlt. Bulut, so wird spekuliert, könnte den für die Wirtschaft verantwortlichen Vizepremier Ali Babacan ablösen. Babacan hat sich bei Erdoğan unbeliebt gemacht, als er die Unabhängigkeit der Zentralbank unterstrich. Erdoğan hatte die Zentralbank zuvor mehrfach - vergeblich - zu einer drastischen Zinssenkung aufgefordert, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln.

Unbeliebter Vizepremier

Die regierungsnahe Sabah glaubte am Dienstag schon zu wissen, dass Babacan der neuen Regierung nicht mehr angehören wird. Das Ziel der Kabinettsumbildung sei eine "harmonische Zusammenarbeit" mit der Zentralbank, der Bankenaufsicht und anderen "Schlüsselinstitutionen". Die Industriellen-Vereinigung Tüsiad bat dagegen, der neue Präsident sollte die "Polarisierung" in der Gesellschaft beenden, denn die gefährde die Demokratie und die wirtschaftliche Entwicklung.

Aufstiegschancen soll auch Außenminister Ahmet Davutoğlu haben, der als besonders loyal zu Erdoğan gilt, und als Premier im Gespräch ist. Als Parteichef wäre Davutoğlu aber kaum eine starke Figur. Erdoğan hat übrigens 4,5 Millionen Follower in Twitter, Gül 4,8 Millionen.

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