Türkei:Mit 187 000 Euro im Versteck

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Die Pressekonferenz auf der in Istanbul die Erfolge der Terror-Fahnder mitgeteilt wurden, wurde streng bewacht. (Foto: Lefteris Pitarakis/AP)

Die Behörden verhaften den Mann, der in Istanbul 39 Menschen in einem Nachtclub getötet hat. Doch die Furcht bleibt: Dass das Land künftig von Anschlägen verschont wird, glauben die wenigsten.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Es kommt nur noch selten vor, dass sich türkische Medien dafür interessieren, was die internationale Presse über ihr Land schreibt. Am Dienstag war das anders. Im Frühstücksfernsehen wurde regelrecht abgefragt, was die BBC, die New York Times, der Guardian, die Bild gemeldet hätten. Die Prozedur wirkte ein wenig lächerlich, weil es natürlich immer die gleiche Nachricht war: "Der Attentäter von Istanbul ist gefasst." In einigen türkischen Blättern ist sogar die Rede vom "Monster".

Nach 17 Tagen haben die türkischen Behörden jenen Mann gestoppt, der das Land in der Silvesternacht in tiefe Trauer stürzte. Erst erschoss er im Istanbuler Nachtclub Reina 39 Menschen und danach führte er noch gut zwei Wochen lang die Behörden an der Nase herum. Istanbuls Gouverneur Vasip Şahin tritt um kurz nach 10.30 Uhr an ein Pult, das seine Mitarbeiter vor der Polizeizentrale der Stadt aufgebaut haben. Die meiste Zeit spricht er frei. Beim Namen des Attentäters muss er vom Blatt ablesen: Abdulgadir Mascharipow, usbekischer Staatsbürger. Deckname "Ebu Muhammed Horasani".

Um kurz nach Mitternacht hatten Spezialkräfte das Apartment des Attentäters im Stadtteil Esenyurt gestürmt. Ein Foto zeigt Mascharipow mit Schrammen im Gesicht, Blutflecken auf seinem Shirt und offenbar der Hand eines Beamten an seiner Kehle. Während der Festnahme wurden nach Behördenangaben fast 200 000 Dollar (etwa 187 000 Euro) sichergestellt. Auch von einem mutmaßlichen Komplizen, einem Iraker, drucken die Zeitung ein Foto. Es zeigt ihn am Boden liegend. Fixiert durch jemanden, der seinen Stiefel auf den Kopf des Verdächtigen drückt. Im Internet wird das später noch für Diskussionen sorgen.

Es kam einer Demütigung der türkischen Sicherheitsbehörden gleich, dass es dem Schützen überhaupt gelingen konnte, ein solches Massaker in dem Club anzurichten und danach - in der panischen Menge der flüchtenden Partygäste - zu entwischen. Er nahm sich ein Taxi. Weg war er. Kurz darauf bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat zu dem Terrorakt, einer ihrer "Soldaten" habe das Fest in Trauer verwandelt. Aber anders als bei den meisten früheren Anschlägen, hatte sich der Angreifer nicht selbst getötet. Er war auf der Flucht. Von ihm gab es nicht nur ein Fahndungsfoto, sondern gleich ein Fahndungsvideo. Vor dem Attentat hatte er sich selbst dabei gefilmt, wie er über den Istanbuler Taksim-Platz spazierte. Eins-A-Bildmaterial, überall zu sehen und trotzdem konnte er in der Millionenstadt abtauchen.

Durch den Staatsumbau kam den Türken im Anti-Terror-Kampf viel Erfahrung abhanden

Die Behörden standen extrem unter Erfolgsdruck. Der gesamte Dezember hatte die Schwäche des türkischen Sicherheitsapparates und die Verwundbarkeit des Landes vor Augen geführt . PKK-Terroristen töteten bei einem Doppelanschlag am Stadion des Istanbuler Fußball-Erstligisten Beşiktaş mehr als 40 Menschen. Kurz darauf wurde in Ankara der russische Botschafter Andrej Karlow erschossen, als er bei einer Ausstellungseröffnung sprach. Der Täter: ausgerechnet ein türkischer Polizist. Dann kam der Anschlag aufs Reina.

Seit dem Putschversuch im Sommer befindet sich der Staatsapparat im Umbau. Die Justiz verdächtigt mehr als 100 000 Menschen, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein. Sie sollen den Staat unterwandert haben. Zehntausende wurden aus dem Dienst entlassen. Allein mehr als 7000 Polizisten sind dem Justizministerium zufolge festgenommen worden. Den Behörden ist mitten im Anti-Terror-Kampf ein gewaltiger Erfahrungsschatz abhandengekommen. An Befugnissen mangelt es den Behörden jedenfalls nicht. Die Polizeigesetze sind erst im Jahr 2015 reformiert worden, Bürgerrechte hatten sich dem Sicherheitsdenken unterzuordnen.

Einerseits ist nach der Festnahme Mascharipows jetzt vielerorts die Erleichterung spürbar. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan beglückwünschte die Polizei. "Ich habe es bereits zuvor gesagt, in diesem Land wird keiner mehr ungeschoren davonkommen." Regierungschef Binali Yıldırım betonte: "Das wichtigste ist, dass der Täter gefasst wurde." Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bedankte sich bei der Polizei und beim Innenminister.

Andererseits zeigt der Fall, wie professionell der IS in der Türkei operiert. Mascharipow sei in Afghanistan ausgebildet, spreche vier Sprachen, sagt Gouverneur Şahin: "Er ist ein gut trainierter Terrorist." Dennoch lebte er offenbar seit einem Jahr unbehelligt in der Türkei. Er hatte seine Familie dabei, einen kleinen Sohn. IS-Experten bewerteten dies als Strategie zur Tarnung. Allein in Istanbul soll der Angreifer fünf Verstecke genutzt haben. 2000 Polizisten waren an der Fahndung beteiligt, 50 Verdächtige wurden festgenommen. Gouverneur Şahin hofft, dass es nicht wieder zu einem solchen Anschlag kommt. Aber Mascharipow hatte Helfer. Viele Helfer.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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