Anschlag in Ankara:Türkische Regierung kommt zu Krisentreffen zusammen

  • An einer Kreuzung im Zentrum von Ankara sind zwei Bomben explodiert; mindestens 86 Menschen sollen getötet und fast 200 weitere verletzt worden sein.
  • Die Detonationen ereigneten sich vor einer geplanten regierungskritischen Friedensdemonstration.
  • In wenigen Wochen finden in der Türkei vorgezogene Parlamentswahlen statt.
  • Der türkische Radio- und Fernsehrat hat Veröffentlichungen zum Anschlag auf Anweisung des Ministerpräsidenten untersagt.

Viele Tote in Ankara

An einer Straßenkreuzung in der Nähe des Hauptbahnhofs von Ankara sind am Samstagmorgen zwei Bomben explodiert. Dabei seien 86 Menschen getötet und fast 200 Menschen verletzt worden, sagte Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoglu bei einer Pressekonferenz.

Die Ursache der Detonationen, die sich im Abstand von wenigen Minuten ereigneten, war zunächst unklar. Nach Einschätzung aus Regierungskreisen handelt es sich um einen Terror-Akt. Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtet ohne Angaben von Quellen, es habe sich um einen Selbstmordanschlag gehandelt. Später sprach auch Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu der Zeitung Radikal zufolge von zwei Selbstmordattentätern, die den Anschlag verübt haben sollen.

Regierungskritische Demo geplant

Der Sender CNN Türk meldet, die Bomben seien kurz vor Beginn einer Kundgebung explodiert, bei der gegen den Konflikt zwischen Regierungstruppen und Kurden im Südosten der Türkei protestiert werden sollte. Zu der regierungskritischen Demonstration hatten Friedensaktivisten und linke Organisationen aufgerufen. Arbeitergewerkschaften, Organisationen von Ärzten, Architekten und Ingenieuren und andere Gruppen wollten unter dem Slogan "Dem Krieg zum Trotz, Frieden jetzt, sofort!" zusammenkommen, wie die türkische Zeitung Cumhuriyet schreibt.

Die pro-kurdische Partei HDP twitterte dramatische Bilder, die den Tatort zeigen sollen. Der Ko-Vorsitzende der Partei, Selahattin Demirtaş, verurteilte den Anschlag nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA als "Massaker" und "barbarischen Angriff".

Die alternative Nachrichtenseite dokuz8haber.com veröffentlichte ein Video, auf dem Demonstranten beim gemeinsamen Tanz zu sehen sind - als plötzlich im Hintergrund eine der Bomben hochgeht.

Parlamentswahlen stehen an

Das Innenministerium teilte mit: "Wir verurteilen diesen abscheulichen Angriff auf das Schärfste."

Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sei nach dem Anschlag mit Ministerpräsident Davutoglu und anderen Kabinettsmitgliedern zu einem Krisentreffen zusammengekommen. Beide müssen sich am 1. November vorgezogenen Neuwahlen stellen. Davutoğlu kündigte an, den Wahlkampf für drei Tage auszusetzen und kündigte für den gleichen Zeitraum Staatstrauer an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Türkei ihr "tief empfundenes Mitgefühl" ausgesprochen. "Wenn sich die Hinweise auf terroristische Anschläge bestätigen, dann handelt es sich um besonders feige Akte, die unmittelbar gegen Bürgerrechte, Demokratie und Frieden gerichtet sind", steht in einem Schreiben Merkels an Davutoğlu.

Während die Zahl der Toten von Stunde zu Stunde steigt, mehren sich die Anzeichen, dass Medien von der Regierung bei der Berichterstattung behindert werden. Die Zeitung Cumhuriyet hat einen Brief veröffentlicht, in dem RTÜK, der oberste radio- und Fernsehrat der Türkei, auf Anweisung des Ministerpräsidenten Veröffentlichungen zum Anschlag in Ankara verbietet. Aus Gründen der staatlichen Sicherheit. RTÜK ist die oberste Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk in der Türkei. Auch Twitter soll aus der Türkei nur über Umwege zu erreichen sein.

Protest in Istanbul

In der Millionenstadt Istanbul sind derweil Proteste gegen die Regierung entbrannt. Rund 2000 Demonstranten hätten sich am Samstag in der Innenstadt versammelt, berichtet ein dpa-Reporter. Sie skandierten "Dieb - Mörder - Erdogan". In Sprechchören wurde die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu Vergeltungsaktionen aufgefordert.

Gegenseitige Vorwürfe

Türkische Sicherheitskräfte gehen derzeit gegen Kurden- und Islamisten-Gruppen vor. Seit Juli bombardiert das Militär Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die die Regierung für vergangene Anschläge verantwortlich macht. Die Separatistengruppe wird von der Europäischen Union und den USA als Terrororganisation eingestuft.

Gleichzeitig beteiligt sich die Türkei an den Luftangriffen gegen den IS in Syrien. Für einen Selbstmordanschlag in Suruç an der Grenze zu Syrien, bei dem im Juli 32 Menschen getötet wurden, machte die türkische Regierung den IS verantwortlich.

Viele Kurden werfen dagegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner AK-Partei vor, die radikalislamische IS-Miliz im Kampf gegen die Kurden im Nachbarland Syrien zu unterstützen. Die Regierung in Ankara bestreitet das.

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