Türkei-Konflikt:Berlin reagiert auf Erdoğans Provokationen nicht mit Provokation - gut so

Türkei-Konflikt: So frustrierend es erscheinen mag, die Bundesregierung und die EU müssen Erdoğan die Chance lassen, einen Politikwechsel aus eigener Weisheit zu inszenieren.

So frustrierend es erscheinen mag, die Bundesregierung und die EU müssen Erdoğan die Chance lassen, einen Politikwechsel aus eigener Weisheit zu inszenieren.

(Foto: AP)

Der Katalog der Bundesregierung ist richtig und sinnvoll - weil er der türkischen Regierung minutiös vorführt, welchen Schaden sie sich selbst zufügt.

Kommentar von Nico Fried

Sigmar Gabriel hat am Mittwoch mit der Ankündigung, wegen der deutsch-türkischen Spannungen seinen Urlaub zu unterbrechen, manche Erwartung geweckt, die er am Donnerstag dann nicht erfüllte - zum Glück.

Der Umgang mit dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist kein Gegenstand für ein draufgängerisches Hauruckverfahren. Gabriel hat den Ton verschärft, aber noch nicht das Tun. Er hat damit jene Vernunft walten lassen, die ihn als Außenminister überraschend konstant auszeichnet und die ihm als Wahlkämpfer gelegentlich abgeht (wie man an der lächerlichen Nebeninszenierung seiner Symbiose mit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der Türkei-Frage auch diesmal sehen konnte).

Aber das Erste ist ohnehin bedeutender. Die Bundesregierung verschärft ihre Reisehinweise für die Türkei; sie mahnt deutsche Unternehmen, Investitionen zu überdenken; sie prüft ihre Bürgschaften, und sie drängt in der Europäischen Union auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Zollunion und den Zahlungen für den Beitrittskandidaten Türkei.

Keine dieser Entscheidungen schmerzt die Türkei unmittelbar, alles ist mehr Drohung, weniger Vollzug. Das aber ist keine Schwäche, sondern die Stärke dieses Vorgehens.

Es ist gut, Provokation nicht mit Provokation zu beantworten

Der Katalog der Bundesregierung ist richtig, weil er Provokation gerade nicht mit Provokation beantwortet. Er ist sinnvoll, weil er der türkischen Regierung minutiös vorführt, welchen Schaden sie sich in erster Linie selbst zufügt.

So ist zum Beispiel die Veränderung der Reisehinweise nichts anderes als die Beschreibung einer Realität der willkürlichen Verhaftungen auch ausländischer Staatsbürger. Ein solcher verschärfter Reisehinweis ist deshalb keine Sanktion gegen die Türkei, sondern ein Gebot der Fürsorge der Bundesregierung gegenüber ihren Bürgern.

Auch der Blick, den man Erdoğan in das Arsenal der wirtschaftlichen Waffen werfen lässt, ist nachvollziehbar. Die Aussicht auf sinkende Investitionen und schwindende Hermes-Bürgschaften erlaubt es der türkischen Regierung, aber auch ihren Unternehmern, den ökonomischen Schaden mal selbst hochzurechnen, der dem Land droht, wenn man weiter dem Irrtum erliegt, die Rechtlosigkeit von Individuen bleibe für das Rechtsbewusstsein von Investoren folgenlos.

Sigmar Gabriel hat sich viel Zeit genommen, das Verhalten der Bundesregierung zu begründen. Er würdigte die Sensibilitäten der Regierung in Ankara ebenso wie die Rolle der Deutschtürken hierzulande.

Aber er hat auch die objektiven Verletzungen von Menschenrechten und internationalen Abkommen durch die Türkei dem Bemühen um Verständigung und der innenpolitisch immer schwerer zu rechtfertigenden Geduld der Bundesregierung gegenübergestellt.

Die Irrationalität des Adressaten ist das größte Problem

Ganz nebenbei hat der sozialdemokratische Außenminister damit seinen Parteifreunden widersprochen, die in der jüngsten Eskalation nur das Scheitern der Türkei-Politik Angela Merkels sehen wollten; so als hätten sie das alles nicht über Monate mitgetragen.

Das größte Problem des rationalen Katalogs der Bundesregierung ist die Irrationalität des Adressaten. Der türkische Präsident Erdoğan hat sich in der Logik der Eskalation so ausweglos verfangen, weil sie ihm als die wichtigste Garantie seines Machterhaltes erscheint.

Es ist zu befürchten, dass er auch jetzt wieder die Schraube andreht, um seine Gefolgschaft zu mobilisieren und selbst hemmungslos die Verantwortungslosigkeit auszuleben, die er der Bundesregierung unmittelbar nach Gabriels Auftritt vorwerfen ließ.

Aber die Hoffnung auf einen Wandel darf sich ohnehin nicht nähren aus der Erwartung, dass Erdoğan Druck aus dem Ausland zum Einlenken bringen kann. Im Gegenteil: Je wütender das Gebaren in Berlin, desto einfacher ist es für ihn, die Reihen zu schließen - und die Gefängnistüren für deutsche und andere Häftlinge geschlossen zu halten.

Erdoğan redet seinen Leuten einen Minderwertigkeitskomplex ein

So frustrierend es erscheinen mag, die Bundesregierung und die EU müssen bei aller Deutlichkeit in der Ansprache Erdoğan die Chance lassen, eine Veränderung seiner Politik als Akt aus eigener Weisheit zu inszenieren.

Den Druck, den es dafür braucht, kann man fördern - aber entstehen muss er in der Türkei, in ihrer Wirtschaft, bei deren Bossen ebenso wie bei deren Arbeitnehmern, deren Existenzen zum Beispiel millionenfach am Tourismus hängen. Um ihnen die Perspektive unter Erdoğan zu verdeutlichen, ist der Berliner Katalog durchaus geeignet.

Die Gefahr einer realen und dauerhaften Minderwertigkeit der Lebensverhältnisse muss den Minderwertigkeitskomplex überwinden, den Erdoğan den eigenen Leuten fortwährend einredet, damit sie sich um ihn scharen. Erst dann ändert sich was. In Berlin muss man deshalb mit der Geduld nicht am Ende sein, sondern noch ziemlich am Anfang.

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