Staatsumbau unter Erdoğan:Die Türkei wird jeden Tag ein bisschen autoritärer

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Der türkische Präsident Recep spricht am 13.08.2017 in Antalya vor seinen Parteimitgliedern. (Foto: dpa)

Staatsgründer Atatürk wollte weg vom Nahen Osten, Erdoğan will weg vom Westen. Dabei ist es gerade diese Ambivalenz, die die Türkei stark macht - oder machen könnte.

Kommentar von Luisa Seeling

Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Militär endgültig unter seine Kontrolle gebracht hat. Es ist nämlich noch gar nicht so lange her, da war genau das ein dringender Wunsch der Europäischen Union. Der Beitrittskandidat Türkei sollte ziviler werden, die Unantastbarkeit der Streitkräfte war nicht vereinbar mit dem demokratischen Weg, den das Land einschlagen sollte - und einzuschlagen schien, damals, Mitte der Nullerjahre.

Als vor Kurzem in Ankara der Hohe Militärrat zusammenkam, bot sich den Türken ein geradezu historisches Bild: Zum ersten Mal saßen an dem langen Holztisch mehr Zivilisten als Generäle. Die Politik gibt die Richtung vor, nicht mehr die Männer in Uniform. Man kann das zivile Kontrolle nennen. Aber in der heutigen Türkei heißt das: Ein-Mann-Kontrolle - durch den Präsidenten, der per Notstandsdekret und mit fast unbegrenzter Machtfülle regiert. Das Militär wird von jemandem kontrolliert, der seinerseits von niemandem mehr kontrolliert werden kann.

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Erdoğan hat das nächste Ziel schon fest im Blick

Es war ein Jahr radikaler Umbrüche für die Türkei, das Tempo der Veränderungen war oft schwindelerregend, ihr Ausmaß auch. Das Land ist ein anderes geworden - nicht erst seit dem Umsturzversuch im Juli 2016, die Metamorphose hat schon früher eingesetzt, aber der Putsch hat sie beschleunigt. Neu sind die absolute Härte nach innen, die politische Verfolgung, die Massenverhaftungen.

Noch gibt es eine Opposition, zumindest dem Namen nach; gegen die Übermacht des Regierungslagers ist sie jedoch faktisch chancenlos. Nachlassen wird die Repression nicht so bald, denn Erdoğan hat das nächste Ziel schon fest im Blick: die für 2019 angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die das im April beschlossene Präsidialsystem endgültig in Kraft setzen. Auch hier zeigt sich die fatale Dynamik autoritärer Staaten: den Herrschenden reicht die Kontrolle, die sie jeweils haben, nicht aus, jede autonome Regung des Volkes oder gar von Oppositionellen wird zum Vorwand für noch mehr Kontrolle. Darum wird die Türkei nun jeden Tag ein bisschen autoritärer.

Versöhnung mit Moskau, Entfernung von Washington

Zu besichtigen ist der wohl größte Staatsumbau seit Republikgründung. Der Präsident bringt den Staatsapparat auf Linie, um seine Macht zu zementieren, aber auch, um das Land außenpolitisch neu auszurichten. Es sind nicht nur tatsächliche oder vermeintliche Gülen-Anhänger, die Erdoğan aus den Streitkräften, den Ministerien und anderen Institutionen entfernen lässt; er lässt auch gezielt prowestliche Beamte hinausfegen. Offenbar soll nun wieder die ewige Ambivalenz der Türkei zwischen Okzident und Orient gewaltsam aufgelöst werden. Staatsgründer Atatürk wollte weg vom Nahen Osten, Erdoğan will weg vom Westen. Dabei ist es gerade diese Ambivalenz, welche die Türkei stark macht - oder sie machen könnte.

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Erdoğan aber erträgt Uneindeutiges nur schwer, er sieht die Zukunft des Landes nun nicht mehr im transatlantischen Bündnis, er sieht sie im starken, souveränen Staat im Konzert mit Mächten wie Russland, Iran und China. Dazu passt, dass sich die türkische Regierung mit Moskau versöhnt hat, während sich das türkisch-amerikanische Verhältnis rasant verschlechtert. Und dass die türkische Regierung das Interesse an einer EU-Mitgliedschaft verloren hat, aber einen Beitritt zur Shanghai-Organisation anstrebt. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein harter realpolitischer Strategiewechsel. Doch Erdoğans Wende nach Süden und Osten trägt auch irreale Züge, denn die EU ist immer noch der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Türkei, das bleibt auch erst mal so.

Strategische Geduld mit taktischer Uneindeutigkeit

Zugleich bildet sich gerade ein interessantes Muster heraus: Erdoğan zelebriert seine Angriffslust, solche Demonstrationen der Stärke kommen gut an bei seiner Anhängerschaft, immer wieder feuert er eine Salve in Richtung Berlin oder Brüssel ab und rückt auch die als Geiseln inhaftierten Deutschen nicht heraus. Zugleich ist Zusammenarbeit möglich, vor allem da, wo die Türkei starke Interessen hat - in der Wirtschaft und der Verteidigung. Ankaras Einlenken im Streit um den Nato-Stützpunkt Konya zeigt, dass die Eskalationskurve nicht immer nur steil nach oben zeigen muss.

Was aber wäre der richtige Umgang mit diesem Mann? Die EU sollte nun nicht ihrerseits versuchen, eine eindeutige Anti-Türkei-Politik zu treiben, auch wenn man sich das emotional so wünschen mag. Stattdessen sollte sie ihren Werten folgen und dabei geduldig darauf hinarbeiten, dass der türkische Präsident sich in seiner eigenen widersprüchlichen Politik verheddert - strategische Geduld also, kombiniert mit taktischer Uneindeutigkeit.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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