Türkei:Irrlichtern am Bosporus

Ursula von der Leyen war auf Truppenbesuch in Incirlik. Eigentlich nichts Besonderes, hätte die Türkei nicht vorher deutschen Parlamentariern die Einreise verboten. So wurde daraus eine heikle Mission für die Ministerin.

Von Joachim Käppner

Es war vermutlich die Terrormiliz des IS, welche den schrecklichen Anschlag von Istanbul zu verantworten hat. Am Kampf einer internationalen Koalition gegen eben diese Terrormiliz von türkischem Boden aus sind auch jene deutschen Soldaten in Incirlik beteiligt, die keinen Besuch von Bundestagsabgeordneten bekommen durften, weil die Regierung in Ankara gekränkt war - wegen der Armenien-Resolution des Bundestages, die den Völkermord an den Armeniern vor einem Jahrhundert als solchen bezeichnet. Das eine hat mit dem anderen nicht das Geringste zu tun.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, nicht einfach ein Instrument der Exekutive; das heißt: Der Bundestag hat über alle ihre Einsätze das letzte Wort. Seine Abgeordneten draußen vor der Tür zu lassen, muss eine Brüskierung der Bundesrepublik und ihrer Volksvertretung sein. Der demonstrative Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Bundeswehr in Incirlik war die richtige Antwort. Keine Eskalation, doch ein selbstbewusstes Warnzeichen und gleichzeitig ein Angebot, wieder ins Gespräch zu kommen. Nicht zu fahren, solange die Abgeordneten auch nicht fahren dürfen, hätte verzagt gewirkt und auf die Chance verzichtet, mit der türkischen Seite Klartext über den Umgang von Bündnispartnern miteinander zu reden.

Der ist schwierig genug geworden. Wer solche Partner hat, könnte man in leichter Abwandlung eines alten Kalauers sagen, der braucht eigentlich keine Feinde mehr. Aber die Wirklichkeit ist komplexer. Eine ganze Gemengelage spielt da hinein, auch das spannungsreiche Verhältnis der Türkei zu einem Europa, von dem sie zugleich gelockt und zurückgewiesen wird. Dieses Europa will in vielerlei Hinsicht die Kooperation mit der Türkei, zuletzt in der Flüchtlingsfrage, aber EU-Mitglied sollte sie lieber nicht werden. Je mehr sie aber auf sich selbst zurückfällt, je autokratischer ihr Präsident Recep Tayyip Erdoğan regiert, desto weniger erfüllt sie die Mindeststandards für Europa, bei Menschenrechten, Pressefreiheit, im Justizwesen.

Zudem irrlichtert die Türkei auch im Verhalten der Nato gegenüber umher. Mal fordert sie Solidarität im Kampf gegen den Terror und vor Bedrohungen aus der syrisch-irakischen Kriegsregion. Mal tritt sie als Regionalmacht auf, die Partner eher als Last betrachtet - man erinnere sich an die Gängelungen der deutschen Patriot-Teams, die doch eigens zum Schutz der Türkei vor Luftangriffen gekommen waren. Das Land leidet unter den Terrorattacken des IS, findet aber keine konsequente Strategie dagegen, weil Erdoğans Ziel vor allem der Kampf gegen die kurdische PKK ist - ein sehr alter Konflikt, den er törichterweise militärisch zu lösen versucht, wie so viele seiner Vorgänger. Deshalb hat die türkische Regierung 2015 während der Belagerung des syrischen Kurdenbollwerks Kobanê durch den IS lange tatenlos zugesehen, deshalb den USA zunächst nicht erlauben wollen, von der Türkei aus Luftangriffe auf die Terrormiliz zu fliegen.

Die boshaften Nadelstiche in Form des Besuchsverbots für Abgeordnete des Bundestages sind daher nicht nur ein bilaterales Problem, sondern auch ein Spiegel des gestörten Verhältnisses des Landes zum Westen. Der Versuch wie jener der Verteidigungsministerin, mit der Türkei zu reden, ist jede Mühe wert. Der anstehende Natogipfel wird das nächste Forum dafür sein. Fruchtet der Versuch nicht, sollte die Bundesrepublik neuen Wünschen aus der Türkei wie jenem nach dem Einsatz von Awacs-Überwachungsflugzeugen zurückhaltend begegnen.

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