Türkei:In traditionsreichem Hause versickert

An der Deutschen Schule Istanbul sind offenbar Millionen veruntreut worden.

Von Mike Szymanski

An der traditionsreichen Deutschen Schule Istanbul, einem der besten Gymnasien der Türkei, ist über Jahre hinweg ein Millionenbetrag veruntreut worden. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigte, dass die türkischen Behörden gegen mehrere inzwischen abgesetzte Vorstandsmitglieder des Trägervereins ermitteln. Die Schule klagt auf Schadenersatz. Die Rede ist von mindestens einer Million Euro, die verschwunden sein sollen. 2013 flog der Diebstahl intern auf. Die Aufarbeitung ist bis heute nicht abgeschlossen.

Der Fall wirft auch ein Schlaglicht auf die Rolle des deutschen Generalkonsulats in Istanbul, das mit einem Mitglied im Trägerverein der Schule vertreten ist. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth, Vizepräsidentin des Bundestags, kündigte an, den Fall ins Parlament zu bringen. Die Grünen würden Auskunft von der Regierung zu den Vorgängen verlangen, der Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik werde sich nach der Sommerpause damit befassen. "Die Schule galt immer als Vorzeigeprojekt. Jetzt tun sich Abgründe auf", sagte Roth der Süddeutschen Zeitung. Gerade das Generalkonsulat hätte von den Vorgängen Wind bekommen müssen. Es müsse nun "aktiv bei der Aufklärung mitwirken".

Nach Aussage von mehreren Eltern, die ihre Kinder auf die Schule geschickt haben, hat es so gut wie keine Kontrollen bei den Finanzen gegeben. Bei dem veruntreuten Geld soll es sich im Wesentlichen um von Eltern gezahltes Schulgeld handeln. Die Gebühren belaufen sich pro Kind auf etwa 12 000 Euro pro Schuljahr. An der Schule lernen derzeit 800 Schüler, etwa 160 Deutsche bereiten sich auf das Abitur vor. Obwohl allein über die Schulgebühren regelmäßig Millionenbeträge bewegt wurden, bekamen die Eltern nach Angaben des früheren Elternbeiratsmitgliedes Gunnar Köhne lediglich Quittungen, wie sie auch Taxifahrer ausstellen. Weder seien Bücher ordentlich geführt worden, noch habe es intern eine Kontrolle über die Geldflüsse gegeben. "Die Schule ist immer noch dabei, sich einen endgültigen Überblick zu verschaffen", sagte Köhne der Nachrichtenagentur dpa, die mit ihren Recherchen den Fall jetzt ans Licht brachte. "Was verschwunden ist, sind unsere Beiträge für die Beschulung unserer Kinder."

Seit der Absetzung des früheren Vorstands habe sich vieles zum Besseren geändert, sagen Eltern

Die Aufgabe des Aufräumers ist Matthias Köhle zugefallen. Seitdem der Vorstand des Trägervereins 2013 abgesetzt wurde, versucht er als neuer Vorsitzender, die Missstände abzustellen. Vieles habe sich bereits zum Besseren verändert, berichten Eltern. Externe Wirtschaftsprüfer kontrollieren inzwischen die Jahresabschlüsse. Es gibt jetzt Sicherheitsvorkehrungen, wenn jemand auf die Konten der Schule zugreifen will. Köhle sagt, man tue alles dafür, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen werde. Wo das Geld geblieben ist, könne aber auch er nicht beantworten. "Wir haben alles in die Hände der türkischen Behörden gelegt", sagt er. Über konkrete Summen spricht er nicht. Die Verfahren könnten sich noch lange hinziehen. "Zwischen zwei und fünf Jahren - da ist alles möglich", sagt er. Während sich die Schulkinder auf den Beginn der Sommerferien Ende der Woche freuen, reiht sich für die Schulleitung im Moment eine Konferenz an die nächste.

Die Deutsche Schule in Istanbul beschäftigt das Auswärtige Amt und das Generalkonsulat mehr, als es den Diplomaten lieb ist. Sie musste in diesem Jahr außerdem Bundesmittel in Höhe von mehr als 230 000 Euro zurückzahlen. Der Rechnungshof hatte bei Prüfungen 2008 und 2010 Verfahrensmängel bei der Sanierung der Schule in Istanbul aufgelistet. 2004 hatte das Auswärtige Amt 6,8 Millionen Euro für die Sanierung, die Erdbebensicherung und den Neubau einer Sporthalle veranschlagt. Die Schule sollte 2,5 Millionen Euro aus Eigenmitteln dazuschießen. Die mit 2,1 Millionen Euro eingeplante Sporthalle wurde nie gebaut. Der Bundesrechnungshof teilte nun mit, die Bauausgaben hätten am Ende dennoch fast 12 Millionen Euro betragen.

Die türkischen Steuerbehörden haben die Deutschen ebenfalls am Hals. Für die deutschen Schulen in Istanbul, Ankara und Izmir verlangen sie Steuernachzahlungen für die Jahre 2009 bis 2013. Die dpa zitiert aus einer Depesche des deutschen Botschafters Eberhard Pohl vom 16. März: "Die allein für das Jahr 2009 geforderte Gesamtsumme in Höhe von umgerechnet knapp 940 000 Euro für alle drei Schulen macht deutlich, dass eine gütliche Regelung unabdingbar ist, um die Existenz der Schulen nicht infrage zu stellen." Dabei gilt das deutsch-türkische Verhältnis ohnehin bereits als belastet.

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