Nach Terroranschlag in Ankara:Europa braucht eine friedliche Türkei

Nach Terroranschlag in Ankara: In Diyarbakir, im Südosten der Türkei, bestimmen schwer bewaffnete Polizisten den Alltag. Die Stadt ist heute der wichtigste überwiegend von Kurden bewohnte Ort der Türkei.

In Diyarbakir, im Südosten der Türkei, bestimmen schwer bewaffnete Polizisten den Alltag. Die Stadt ist heute der wichtigste überwiegend von Kurden bewohnte Ort der Türkei.

(Foto: AFP)

Der Kurden-Konflikt und der Krieg in Syrien destabilisieren die Türkei - und mit ihr die Europäische Union.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Wer macht so etwas? Immer wieder diese Frage: Wer tut anderen so etwas an? Nimmt Menschen mit in den Tod, von deren Leben er nichts weiß. Ankara, Istanbul und nun wieder Ankara: drei Selbstmordattentate in türkischen Millionenstädten in nur vier Monaten mit insgesamt 141 Toten. Und wieder glaubt die Regierung schon wenige Stunden später, die Täter bereits zu kennen - womit die wesentlichen Fragen allerdings keineswegs beantwortet sind. Im Gegenteil.

Zweimal soll es der sogenannte Islamische Staat gewesen sein. Bei den Anschlägen vor dem Ankaraner Hauptbahnhof im Oktober und auf Touristen in Istanbul im Januar soll der IS Regie geführt haben, auch wenn offizielle Bekenntnisse nicht bekannt wurden.

Jetzt zeigt Premier Ahmet Davutoğlu mit dem Finger auf die radikale türkische Kurdenpartei PKK und deren syrische Bruderorganisationen PYD und YPG. Das sind Namenskürzel, die jedem Türken nur zu vertraut sind, schließlich steht die PKK seit mehr als 30 Jahren für den bewaffneten Widerstand gegen die Staatsmacht im Südosten des Landes. Dort spielt sich nun seit Monaten schon eine wahre Tragödie ab.

Die PKK-Führer sind längst ergraut, aber ihre Kämpfer werden immer jünger, entschlossener, desillusionierter, todesmutiger; der Staat reagiert darauf unerbittlich, ohne Rücksicht auf Unbeteiligte. Unterdessen haben die Ableger der PKK in Syrien wahr gemacht, was der PKK in der Türkei nie gelungen ist: Sie nahmen sich im Bürgerkriegschaos einfach ihr eigenes Territorium.

Die Kurden-Führer widersprechen sich gegenseitig

Zwar ist die Bekenntnislage nach dem Attentat von Ankara jetzt auch erst einmal uneindeutig, ein Kurden-Führer äußert sich nebulös, ein anderer widerspricht. Sollte sich aber eine Verantwortung der Kurdenmilizen für das verheerende Attentat inmitten der Hauptstadt bestätigen, oder - was fast genauso wirksam wäre - eine Mehrheit der Türken in diesem Fall einfach der Regierung glauben, dann wäre dies für die Türkei hochdramatisch, innen- wie außenpolitisch.

Die PKK hatte es bislang vermieden, ihren blutigen Kampf in den türkischen Großstädten auszufechten. Ändert sie diese Strategie, steht eine Art Bürgerkrieg auch in der Türkei als Menetekel an der Wand. Schwer belastet würde aber auch das Verhältnis zwischen Ankara und Washington, weil die US-Regierung die diversen Kurdenmilizen in Syrien und im Irak als Partner im Kampf gegen den IS aufgerüstet und schätzen gelernt hat.

Die EU braucht einen verlässlichen Partner

Am gefährlichsten aber: Der Zwist zwischen der Türkei und Russland wird befeuert werden. Auf dem Schlachtfeld in Syrien kämpfen Russland und das Nato-Land Türkei glücklicherweise noch nicht direkt gegeneinander, aber sie tun es schon über Stellvertreter. Die Türkei versorgt die Anti-Assad-Rebellen, Moskau den Diktator in Damaskus. Zuletzt hat Russland auch versucht, sich die syrischen Kurden zu Freunden zu machen, die PYD durfte in Moskau ein Büro eröffnen, mit propagandistischem Tamtam.

Für Wladimir Putins Strategen sind die Kurden nur Bauernfiguren auf einem geopolitischen Schachbrett. Da darf man dann schon fragen, warum gerade die Kurden, warum gerade jetzt? Und wieso wird das Zentrum von Ankara in ein Inferno verwandelt, ausgerechnet am Tag bevor der türkische Premier in Brüssel zu wichtigen Verhandlungen erwartet wird? Zu Verhandlungen, die der EU und vor allem der deutschen Kanzlerin Angela Merkel helfen sollen, die Flüchtlingskrise so zu lösen, dass Europa nicht daran zerbricht.

Auch die, die eigentlich ausharren wollten, werden irgendwann in Passau stehen

In Syrien hinterlassen russische Luftangriffe verbrannte Erde, wo Krankenhäuser und Schulen bombardiert werden, fliehen auch noch diejenigen, die eigentlich ausharren wollten. Auch diese Flüchtlinge werden, wenn sie keine Bleibe in der Türkei finden, irgendwann in Passau stehen, wenn sie es noch irgendwie durch die Zaunwälder der Balkanroute schaffen.

Was heißt dies alles für die EU, für Angela Merkel? Die Türkei wird als Partner weiter gebraucht, denn wenn Ankara nicht mithilft, den syrischen Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken, wird Merkel ihre Linie nicht halten können, dann werden die politischen Fliehkräfte die EU noch tiefer in Existenznöte treiben.

Merkel und ihre wenigen verbliebenen Freunde in der Union müssen Davutoğlu, wenn das jetzt abgesagte Flüchtlingskrisentreffen von Brüssel nachgeholt wird, aber auch klar sagen, dass die Türkei ihren inneren Frieden finden muss, wenn sie ein verlässlicher Partner sein will. Der EU-Gipfel könnte schon jetzt ein Signal setzen: Er sollte die russischen Luftangriffe in Syrien scharf verurteilen, und vorsorglich gleich noch alle warnen, welche die Stabilität der Türkei aufs Spiel setzen wollen.

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