Türkei:Attacke auf die Medien

Die türkische Regierung lässt Dutzende Zeitungen und Sender schließen. Gegen 47 frühere Mitarbeiter von "Zaman" stellten die Behörden Haftbefehle aus.

Von Luisa Seeling

Der türkische Kolumnist Mustafa Akyol hat einen bitteren Begriff geprägt für das, was derzeit in seinem Land geschieht: Die Türkei werde "de-gülenifiziert", die Regierung wolle den gesamten öffentlichen Sektor von Anhängern des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen "reinigen", schreibt Akyol auf dem Analyseportal Al-Monitor. Die Regierung in Ankara sieht den Geistlichen als Drahtzieher des Putschversuchs vom 15. Juli - wobei Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Gülen-Netzwerk schon lange vorher zum Staatsfeind erklärt hatte, den es aus Justiz und Verwaltung schonungslos zu entfernen gelte.

Im Visier der Ermittler steht die Zeitung Zaman. Sie galt als Flaggschiff der Gülen-Bewegung

In den anderthalb Wochen seit dem Putsch sind mehr als 15 000 Menschen festgenommen, mehr als 60 000 entlassen worden - laut Regierung alles Gülen-Anhänger. Nun lässt Ankara zudem Dutzende Medien schließen, ein entsprechender Beschluss wurde am Mittwoch im türkischen Amtsblatt veröffentlicht. Betroffen sind 45 Zeitungen und 16 Fernsehsender, außerdem Radiosender, Zeitschriften und einige Nachrichtenagenturen. Viele kleine, lokale Medien finden sich auf der Liste, aber auch landesweite. Die oppositionelle Zeitung Taraf soll ebenfalls geschlossen werden. Ebenso Zaman, die ehemals auflagenstärkste Tageszeitung der Türkei. Gegen 47 ehemalige Journalisten und Mitarbeiter von Zaman hatten die Behörden kurz zuvor bereits Haftbefehle erlassen. Das Blatt war bis vor Kurzem das Flaggschiff der Gülen-Bewegung in der Türkei. Bis etwa 2013 positionierte es sich eher regierungsfreundlich, dann aber kam es zum Bruch, als Gülen-nahe Staatsanwälte in höchsten Regierungskreisen wegen Korruptionsverdachts ermittelten. Erdoğan wertete dies als Umsturzversuch, ließ die Ermittlungen einstellen und begann, mutmaßliche Gülenisten aus Justiz und Polizei zu entfernen. Im März dieses Jahres stellten die Behörden Zaman unter staatliche Aufsicht. Die nun gesuchten früheren Mitarbeiter der Zeitung hätten wahrscheinlich detaillierte Kenntnisse über das Gülen-Netzwerk, begründete ein anonymer Regierungsmitarbeiter die Haftbefehle. Betroffen sind unter anderem der frühere Zaman-Chefredakteur Abdülhamit Bilici und der frühere Chefredakteur von Today's Zaman, Bülent Keneş.

Erst am Montag hatten die Behörden die Festnahme von 42 Journalisten angeordnet - die meisten von ihnen hatten für Medien gearbeitet, die der Gülen-Bewegung nahestehen sollen, etwa die Zeitung Bugün. 16 von ihnen seien bislang festgenommen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Doğan - auch die 72-jährige, in der Türkei als Kolumnistin sehr bekannte Nazlı Ilıcak.

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