Türkei:Göring-Eckardt: Annäherung der Türkei an Europa in Gefahr

  • Deutsche Politiker haben sich besorgt über den Machtkampf zwischen Davutoğlu und Erdoğan geäußert.
  • In türkischen Medien und sozialen Netzwerken wird der Fall Davutoğlus als "ziviler Putsch" bezeichnet.
  • Die EU und Kanzlerin Merkel hingegen äußern sich nur zurückhaltend und betonen das aus ihrer Sicht erfolgreiche Flüchtlingsabkommen mit der Türkei.

Durch den Rückzug des türkischen Regierungschefs Ahmet Davutoğlu sieht Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt die Annäherung des Landes an Europa in Gefahr. "Immerhin war Herr Davutoğlu ein zuverlässiger Ansprechpartner für die Europäer, und er war einer, der die Öffnung der Türkei in Richtung Europa wollte", sagte sie in der ARD. "Das kann man von Herrn Erdoğan ja offenbar nicht sagen."

Röttgen: Erdoğan will dezidiert nicht in Richtung Europa

Der Rückzug des Ministerpräsidenten ist nach Meinung des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen eine schlechte Nachricht für Europa. "In allen für Europa wichtigen Fragen wollte Davutoğlu die Türkei in Richtung Europa bringen. Erdoğan will das dezidiert nicht", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im Deutschlandfunk. "Deswegen sind das schlechte Nachrichten für Europa und auch für die Türkei", sagte Röttgen.

Linken-Politikerin Dağdelen: Davutoğlus Programm hieß immer nur Erdoğan

"Der Rücktritt ist der Auftakt einer weiteren Zuspitzung der innenpolitischen Lage in der Türkei", sagte die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen dem Deutschlandfunk. Die geplante Visa-Liberalisierung hält sie angesichts der aktuellen Entwicklungen für unverantwortlich. Von einem Machtkampf zwischen Davutoğlu und Erdoğan will Dağdelen aber nicht sprechen. "Davutoğlu war nur stets der willige Vollstrecker von Erdoğan und ein eigenständiges Politikkonzept hat er nie verfolgt. Sein Programm hieß immer nur Erdoğan."

Türkische Medien sprechen von "zivilem Putsch"

Davutoğlu war nach Auseinandersetzungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ungnade gefallen. Erdoğan-Anhänger verdächtigten Davutoğlu, die Macht des Präsidenten untergraben zu wollen. Er gibt seine Ämter als Partei- und somit auch als Regierungschef auf.

In türkischen Medien und sozialen Netzwerken hat sich für den Fall des türkischen Ministerpräsidenten schon eine neue Begrifflichkeit gebildet. Unter dem Hashtag DostModernDarbe tauschen sich Journalisten und User darüber aus, wie absurd der Machtkampf zwischen Davutoğlu und Erdoğan ausgegangen ist. Der Hashtag ist eine Ableitung von post modern darbe, also postmoderner Putsch. Post wird nun durch "dost" ersetzt, was Freund bedeutet, eine Anspielung darauf also, dass Davutoğlu und Erdoğan eigentlich Parteifreunde sind und wohl auch auf Davutoğlus Rücktrittsrede, in der er betont, nie ein schlechtes Wort über den Präsidenten verlieren zu wollen.

Die Türkei hat schon viele Putsche erlebt - ausgeführt allerdings stets vom Militär. Nun sprechen Zeitungen und Nachrichtensender von einem "zivilen Putsch", einem Putsch, der nicht von Soldaten ausgeführt wurde.

Zurückhaltung bei Merkel und in der EU

Ungeachtet der Entwicklungen bekräftigte Kanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch in Rom den Flüchtlingsdeal mit der Türkei. "Wir haben bei dem Abkommen gute Fortschritte gemacht. Die Europäische Union, oder zumindest Deutschland und Italien, stehen zu den Verpflichtungen, auf die wir uns geeinigt haben. Wir hoffen, dass das auf Gegenseitigkeit beruht." Merkel erwähnte nicht explizit den Rücktritt Davutoğlus.

Auf der Ebene der Europäischen Union fallen die Reaktionen auf den Rücktritt Davutoğlus sehr zurückhaltend aus. Der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zufolge seien die Auswirkungen noch unklar. Es sei noch zu früh, aus dem Schritt von Davutoğlu Rückschlüsse zu ziehen. "Wir werden das zunächst mit der Türkei besprechen und zusammen festlegen, wie wir weiter vorgehen", sagte Mogherini. Davutoğlu galt, was die Verhandlungen über das Flüchtlingsabkommen betrifft, vielen als flexibler und engagierter als Präsident Erdoğan.

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