Türkei:Genug geredet

Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen jetzt stoppen.

Von Luisa Seeling

In den EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei haben immer zwei Dinge eine Rolle gespielt: die Aussicht, eines Tages dem europäischen Klub anzugehören; und der Prozess als solcher, der nach 2005 - als die Verhandlungen offiziell begannen - im Land eine Fülle von Reformen in Gang setzte. Heute muss man feststellen: Der Prozess bewirkt nichts mehr. Gesprächskanäle, Finanzhilfen - nichts von alldem hat verhindern können, dass sich die Türkei zuletzt mit Lichtgeschwindigkeit von Europa entfernt hat.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan demoliert den Rechtsstaat, Ermahnungen aus Brüssel kümmern ihn nicht. Die EU-Perspektive bietet keinen Hebel mehr, um mäßigend auf Ankara einzuwirken. De facto liegen die Gespräche ohnehin seit Monaten auf Eis. Sie sind eine Scheinveranstaltung, die verhindert, dass beide Seiten ehrlich miteinander umgehen und neue Wege der Zusammenarbeit ausloten. Und auch Europas Glaubwürdigkeit nimmt Schaden: Wie soll Brüssel Druck ausüben auf Mitglieder wie Polen, wenn es einen Kandidaten akzeptiert, der sich vor aller Augen zur Autokratie wandelt?

Das EU-Parlament hat dafür plädiert, die Gespräche formell auszusetzen. Es wird Zeit, dieser Empfehlung zu folgen. Nicht aus Trotz, sondern aus politischer Notwendigkeit. Und nicht ohne eine Tür offenzulassen für den Tag, an dem die Türkei wieder von demokratischeren Kräften regiert wird.

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