Türkei:Fremde Forderungen

Die Regierung in Ankara will, dass auch die Bundesrepublik gegen die Gülen-Bewegung vorgeht. Deutsche Politiker lehnen Auslieferungsgesuche vehement ab.

Von Stefan Braun, Berlin

Die aggressive Aufforderung Ankaras an deutsche Behörden, auch hierzulande Organisationen der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu überprüfen und dessen Vertreter gar an die Türkei auszuliefern, stößt in Deutschland auf immer schärfere Kritik. Zahlreiche Oppositionspolitiker, aber auch Christdemokraten wie der Innenexperte Wolfgang Bosbach, warnen offen davor, auf solche Forderungen der türkischen Regierung einzugehen. Damit reagieren Vertreter von Koalition und Opposition auf eine öffentliche Aufforderung des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu. Dieser hatte erklärt, Deutschland müsse "die Richter und Staatsanwälte dieses Parallelstaates" ausliefern.

Der laute Ruf aus Ankara beißt sich bislang allerdings mit der Tatsache, dass es in den zurückliegenden Tagen und Wochen offenbar keinen einzigen konkreten Auslieferungsantrag der türkischen Seite gegeben hat. Das jedenfalls sei der Stand bis Freitagnachmittag, hieß es in Berliner Regierungskreisen. Anders sieht es im Fall zweier türkischer Staatsanwälte aus, die schon vor gut einem Jahr aus der Türkei nach Deutschland geflohen sein sollen. Für beide liegt ein Auslieferungsantrag vor, allerdings wissen die deutschen Behörden nicht, ob sie sich überhaupt in Deutschland aufhalten. Zudem sagte ein hoher Regierungsbeamter der Süddeutschen Zeitung, in beiden Fällen sei unklar, "ob sie tatsächlich Anhänger der Gülen-Bewegung sind oder vielleicht gegen Familienmitglieder oder Freunde des türkischen Präsidenten ermittelt haben".

Türkei: Putschverdacht: Inhaftierte Soldaten vor dem Justizpalast in Istanbul.

Putschverdacht: Inhaftierte Soldaten vor dem Justizpalast in Istanbul.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Bislang keine Bestätigung gibt es für Berichte, dass Strafaktionen Ankaras auch türkische Diplomaten betreffen könnten, die in Deutschland stationiert sind. Im Auswärtigen Amt hieß es, man habe davon keine Kenntnis. Solche Fälle könnten die deutsch-türkischen Beziehungen weiter belasten, besonders dann, wenn diese Diplomaten in Deutschland einen Asylantrag stellen sollten.

Der Deutsche Richterbund warnte am Freitag davor, die türkischen Rufe nach Auslieferungen einfach so zu erhören. Eine Auslieferung auf bloßen Zuruf aus Ankara dürfe es nicht geben, zuvor müsse die türkische Seite konkrete Beweise vorlegen, dass Personen tatsächlich mit dem Putschversuch vor zwei Wochen verbunden gewesen seien, sagte der Vorsitzende des Richterbunds, Jens Gnisa, der Nachrichtenagentur AFP. Gnisa warf der Türkei ein "grob rechtsstaatswidriges Verhalten" gegen Richter und Staatsanwälte vor.

Klare Worte wählte auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der türkische Generalkonsul in Stuttgart habe seine Landesregierung aufgefordert, Einrichtungen der Gülen-Bewegung wie Schulen und Vereine zu überprüfen. Das habe ihn "in höchstem Maße befremdet", sagte Kretschmann: "Genau das werden wir selbstverständlich nicht machen."

In Berlin hat es offenbar ähnliche Bemühungen der türkischen Seite gegeben.

Beschlagnahme

Nach dem Putschversuch will die türkische Staatsanwaltschaft die Privatvermögen von mehr als 3000 suspendierten Richtern und Staatsanwälten beschlagnahmen lassen. Betroffen seien Juristen mit mutmaßlichen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, deren Festnahme bereits angeordnet worden sei, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Auch im Militär gab es Tausende Verhaftungen. Kritik der USA an dem Vorgehen wies die Regierung in Ankara zurück. US-Geheimdienstchef James Clapper hatte beklagt, viele Gesprächspartner seien entlassen oder verhaftet worden. Dies erschwere die Kooperation mit der Türkei. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu entgegnete, die "Säuberungen" seien kein Nachteil für den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". SZ

Kretschmann und Grünen-Parteichef Cem Özdemir forderten, die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei sofort auszusetzen. Allerdings warnten sie davor, sie vollständig zu beenden. Die Hoffnung, dass sich die Lage in der Türkei wieder ändere, solle man nicht aufgeben. Özdemir kritisierte den türkisch-muslimischen Dachverband Ditib: "Der Ditib sieht sich als Vertreter eines fremden Staates in Deutschland - das akzeptieren wir nicht."

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