Türkei:Erdogan lässt Ehebruch-Gesetz fallen

Die Türkei stellt Ehebruch vorerst nicht unter Strafe. Die Regierung von Ministerpräsident Erdogan gibt damit den massiven Protesten der Opposition und der Europäischen Union nach.

Nach massiver Kritik auch aus der Europäischen Union ist die türkische Regierung von dem geplanten Ehebruch-Gesetz abgerückt.

Kurz vor einer Sondersitzung des türkischen Parlaments zur Verabschiedung einer umfassenden Strafrechtsreform verständigten sich Regierung und Opposition am Dienstag darauf, das Vorhaben nicht auf die Tagesordnung zu setzen.

Außenminister Abdullah Gül sagte, für die Regierung sei es "vorrangig", grundlegende Reformen gemeinsam mit der sozialdemokratischen Opposition zu verabschieden. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) hatte sich, wie die EU, gegen die Pläne der islamischen Regierungspartei AKP gewandt, Ehebruch unter Strafe zu stellen.

"Unser einziges Ziel ist es, der Türkei, dem türkischen Volk ein zeitgemäßes Strafgesetz zu geben, das die individuellen Rechte und Freiheiten in den Vordergrund stellt", sagte Gül nach einer Unterredung mit dem CHP-Vorsitzenden Deniz Baykal, an der auch Justizminister Cemil Cicek teilnahm.

Kritik aus der EU am geplanten Ehebruch-Paragrafen

Nach Angaben Baykals soll die Strafrechtsreform "auch unter Berücksichtigung des EU-Zeitplanes" rasch verabschiedet werden. Die EU-Kommission will Anfang Oktober den entscheidenden Türkei-Bericht vorlegen, auf dessen Grundlage die Staats- und Regierungschefs im Dezember über Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entscheiden werden.

Noch kurz vor der Sondersitzung hatte Gül die Kritik aus der EU am geplanten Ehebruch-Paragrafen als "unverdient" zurückgewiesen. Niemand habe das Recht, sein Land in ein falsches Licht zu rücken.

"Die Türkei verdient das nicht, und das Geleistete sollte nicht auf diese Weise in den Schatten gestellt werden", sagte Gül vor AKP-Abgeordneten. Er bedauere, dass die aus 346 Paragrafen bestehende Strafrechtsreform, von der "ein Paragraf wichtiger als der andere" sei, von einem einzigen überschattet werde.

Geplant war, Ehebruch in der Türkei künftig mit Haftstrafen von sechs Monaten bis zu einem oder zwei Jahren zu bestrafen, wenn ein betrogenen Ehepartner Anzeige erstattet.

Das Strafrecht der Türkei stammt aus dem Jahr 1926 und soll jetzt mit der Reform entrümpelt werden. Um die Meinungsfreiheit zu stärken, wird der berüchtigte Volksverhetzungs-Paragraph 312 geändert.

In Vergangenheit wurde er häufig zur Verurteilung unliebsamer Politiker und Journalisten benutzt. Künftig zählt eine Äußerung erst dann als Volksverhetzung, wenn sie die "gesellschaftliche Sicherheit" gefährdet.

Einige Rechtsexperten bemängeln allerdings, dass diese Änderung von den Gerichten sehr restriktiv ausgelegt werden könnte. Möglicherweise sollte im Laufe der Beratungen im Parlamentsplenum noch nachgebessert werden.

Zur besseren Bekämpfung der Folter sollen Staatsbeamte, die Häftlinge misshandeln, bis zu zehn Jahre ins Gefängnis; bei Folterungen mit Todesfolge lautet die Höchststrafe lebenslang. Bei übertriebener Gewaltanwendung gegen Demonstranten drohen Mitgliedern der Sicherheitskräfte künftig bis zu fünf Jahre Haft.

Um diese Änderungen im Alltag wirksam werden zu lassen, kommt es sehr auf die Gerichte an; bisher haben türkische Polizisten von den Richtern nur wenig zu befürchten gehabt.

Frauen sollen mehr Rechte erhalten

Die Rechte der Frauen sollen mit einer ganzen Reihe von Änderungen gestärkt werden. So wird erstmals der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe eingeführt.

Abgeschafft werden die bisherigen Strafnachlässe für so genannte Ehrenmorde - die Tötung von Frauen, die mit angeblich unsittsamem Verhalten die Ehre der Sippe beschmutzt haben sollen. Auch die Vorschrift, wonach ein Vergewaltiger straffrei ausgeht, wenn er sein Opfer heiratet, wird gestrichen.

Um so genannte Jungfrauentests einzudämmen, die in den vergangenen Jahren mehrere Mädchen in den Selbstmord getrieben haben, dürfen solche Untersuchungen nur noch auf Anordnung eines Richters oder eines Staatsanwalts ausgeführt werden. Rechtexperten fordern, das Einverständnis der betroffenen Frau zusätzlich zur Bedingung zu machen.

Das neue Strafgesetzbuch sieht zudem erstmals Sanktionen für Menschenschmuggel und für Organhandel vor. Die Strafen für Taschendiebe werden verschärft - künftig drohen ihnen bis zu sieben Jahre Haft. Mit Hilfe des neuen Strafrechts sollen auch der sexuelle Missbrauch von Kindern, die Korruption und Schwarzbauten besonders in den Großstädten stärker bekämpft werden.

Bei Alkohol am Steuer riskieren Autofahrer in der Türkei künftig zwei Jahre Gefängnis. Umstritten ist das Vorhaben, Sex zwischen Minderjährigen mit bis zu zwei Jahren Gefängnis zu bestrafen.

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