Türkei:Erdogan hat die Kurden verloren

Der türkische Regierungschef Erdogan brüskiert auch die Anhänger seiner Reformen und riskiert den Verlust der Macht. Die Gewalt gegen Kurden nimmt zu.

U. Dufner

Im März 2009 finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Dabei wollte die Regierungspartei AKP der oppositionellen Republikanischen Volkspartei, der CHP, eigentlich deren Hochburgen abnehmen und zudem die kurdischen Großstädte für sich erobern.

Türkei: Dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan stehen harte Zeiten bevor.

Dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan stehen harte Zeiten bevor.

(Foto: Foto: Reuters)

Aber anstelle jubelnder Massen empfingen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf seinen Reisen in den Südosten des Landes zuletzt brennende Barrikaden oder steinewerfende Jugendliche. Im günstigsten Fall stieß er auf gähnende Leere.

Erdogan ist schon lange klar, dass die Kommunalwahlen in den kurdischen Gebieten für seine Partei ein Fiasko werden. Einmal mehr zeigt sich dabei, dass die Arbeiterpartei Kurdistans, die PKK, mit militärischen Mitteln nicht zu bekämpfen ist.

"Entweder ihr liebt das Land oder ihr verlasst es"

Die nahezu täglichen Todesfälle auf Seiten der PKK und des Militärs heizen die Stimmung zusätzlich an. Ein im Mai 2008 angekündigter "Aktionsplan für den Südosten" versprach einen wirtschaftlichen Aufschwung für die Region innerhalb der nächsten fünf Jahre. Aber an den Plan glaubt in den kurdischen Gebieten kaum noch jemand. Zu oft haben sich derartige Versprechen als Luftblase erwiesen.

Erdogans jüngste auf die Kurden gezielte Äußerung - "entweder ihr liebt das Land oder ihr verlasst es" - und das von einem Staatsanwalt beantragte drakonische Strafmaß von 23 Jahren Haft für steineschmeißende Jugendliche kommentierten kurdische Intellektuelle so: Trennen könnten sich Kurden und Türken nicht, "aber zusammenleben können wir auch nicht".

Politisch ist die AKP nicht nur in der Kurdenfrage in einer Sackgasse. Vom Reformeifer, mit dem die Partei vor sechs Jahren die Regierungsgeschäfte übernahm, scheint nichts mehr übrig zu sein. Im Gegenteil: Fälle von Folter haben 2008 dramatisch zugenommen, und das Militär geriert sich immer dreister als eigentliche Schaltstelle der Macht. Nicht umsonst fragte sich der renommierte Intellektuelle Baskin Oran: "Wer ist an der Regierung: Der Ministerpräsident oder der Generalstabschef?"

In den letzten eineinhalb Jahren erlebte die türkische Öffentlichkeit, wie die AKP-Regierung von den Militärs und der nationalistischen, kemalistischen Opposition in der Kopftuch- und Laizismusfrage in die Ecke gedrängt wurde. Nur mit äußerst knapper Mehrheit schrammte die AKP im türkischen Verfassungsgericht an einem Parteiverbot vorbei.

Mordaufruf fällt unter Meinungsfreiheit

Zunehmend in die Ecke gedrängt griff Ministerpräsident Erdogan zu repressiven Maßnahmen, etwa um die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Jüngst rief er zum Boykott der Zeitungen und Fernsehkanäle des Medienmoguls Aydin Dogan auf. Traurige Berühmtheit erlangt die Türkei mit dem Blockieren von Webseiten mit kritischen Inhalten.

Am härtesten getroffen hat es die Tageszeitung Taraf. Die Redakteure wurden vom Generalstabschef mit folgenden Worten unter Druck gesetzt: "Wer die Taten der separatistischen Terrororganisation (...) als Erfolg darstellt, ist mitverantwortlich für jeden Tropfen Blut." Gerne wird neuerdings auch auf das Mittel der Nachrichtensperre zurückgegriffen. Zu Untersuchungen von Polizeiübergriffen geben Gerichte schlicht keine Auskunft.

Auf der nächsten Seite: Warum das Image der AKP als Reformkraft mit weißer Weste längst beschädigt ist.

Erdogan hat die Kurden verloren

Erschütternd ist, wenn die Meinungsfreiheit von einem Gericht gerade dann verteidigt wird, wenn es um einen Mordaufruf geht. In der lokalen Tageszeitung Bolu Express schrieb ein Journalist über gewählte Vertreter der prokurdischen Partei DTP: "Für einen von uns - fünf von euch, ok?" Das Gericht entschied auch in zweiter Instanz, dass ein derartiger Aufruf zur blutigen Rache für im Kurdenkonflikt getötete Soldaten unter die Meinungsfreiheit fällt.

Hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte

Bedrückend ist das zunehmend harte Vorgehen der Sicherheitskräfte. Am 10. Oktober 2008 starb Engin Ceber an den Folgen der Folter in einer türkischen Haftanstalt. Er hatte regierungskritische Zeitschriften verteilt. Dass Cebers Schicksal kein Einzelfall ist, zeigen die Informationen der türkischen Menschenrechtsstiftung. Danach starben in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 31 Personen in türkischen Polizeistationen.

Am 21. Oktober 2007, vier Tage nach der Zustimmung des Parlaments zu Militäroperationen im Nordirak, verübte die PKK einen Anschlag auf den militärischen Grenzposten in Daglica. Zwölf Soldaten kamen ums Leben. Knapp ein Jahr später, kurz vor Verlängerung des Parlamentsbeschlusses, fielen 17 junge Soldaten einem PKK-Anschlag auf den Militärposten in Aktütün zum Opfer. In beiden Fällen stellte Taraf die Frage, ob das Militär die jungen Rekruten "geopfert" habe, um ein Klima des Hasses zu schüren.

Progromartige Ausschreitungen

Die Gewalt gegen Kurden hat insgesamt massiv zugenommen. Erste pogromartige Ausschreitungen wurden Anfang Oktober in Altinova nahe der ägäischen Touristenstadt Ayvalik verzeichnet. Ein alltäglicher Streit zwischen jungen Männern eskalierte zu mehrere Tage andauernden Übergriffen auf 60 kurdische Geschäfte und Wohnhäuser.

Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge waren dabei 400 bis 500 Einwohner beteiligt. Die Polizei schritt zum Schutz der in Panik geratenen Bevölkerung nicht ein. Ähnliche Vorfälle in Mugla, nahe Bodrum, Anfang Oktober 2008 konnten nur durch das Eingreifen von Sicherheitskräften vereitelt werden.

Entsetzen rief Erdogans Reaktion auf einen wütenden Bürger in Istanbul hervor, der aus Protest gegen eine Kundgebung für die Kurden-Partei DTP mit seinem Gewehr in die Luft geschossen hatte. Erdogan zeigte Verständnis, dass die Geduld der Bürger ihre Grenzen habe.

Verteidigungsminister Vecdi Gönül wiederum fiel in Brüssel im November mit der Bemerkung auf, die Pogrome an der armenischen Bevölkerung (1915) und der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch (1923) seien für die "Entstehung der Türkischen Nation" gut gewesen. Damit propagierte er nicht nur eine ethnisch gesäuberte Gesellschaft als Grundlage für die Republik; er verteidigte auch Pogrome gegen ethnische und religiöse Minderheiten. Sind damit zukünftig vielleicht auch die Kurden gemeint?

Das Image der AKP als Reformkraft mit weißer Weste ist längst beschädigt. Sollte die AKP das Ruder nicht herumreißen und zu ihrer alten Rolle zurückfinden, schwinden die Unterschiede zu den Nationalisten der CHP. Bei den Kommunalwahlen im Jahr 2009 dürfte die AKP einen Denkzettel bekommen. Sollte die Wirtschaftskrise das Land erfassen, werden Erdogan und seine Regierung nicht mehr lange zu halten sein.

Die Politikwissenschaftlerin und Turkologin Ulrike Dufner leitet seit Januar 2004 das TürkeiBüro der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

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