Türkei:Erdoğans Kalkül

Zwar wird noch über Koaltionen verhandelt, doch sieht es danach aus, als würde die Türkei um Neuwahlen nicht herumkommen. Das ist ganz im Sinne des Präsidenten, der das politische System umbauen will.

Von Luisa Seeling, Berlin

Die Türkei bereitet sich auf Neuwahlen vor, nachdem die Koalitionsgespräche zwischen der regierenden AKP und der oppositionellen sozialdemokratischen CHP gescheitert sind. Offiziell hat Regierungschef Ahmet Davutoğlu bis 23. August Zeit, um eine Koalition zu schmieden, bevor Neuwahlen im Herbst angesetzt werden müssten. Am Montag will er sich mit Devlet Bahçeli treffen, dem Chef der nationalistischen MHP, die rechnerisch als Partner für die AKP infrage käme. Dass die Parteien Koalitionsgespräche aufnehmen, ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Davutoğlu hatte am Donnerstag schon erklärt, dass Neuwahlen die "einzige Option" seien.

Zudem hat Bahçeli klargemacht, dass er mit der AKP nicht zusammengehen will. Hauptgrund ist die Rolle von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr hat er mit der Tradition gebrochen, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten. Trotz seines Einsatzes im Wahlkampf für die AKP verfehlte die Partei am 7. Juni die absolute Mehrheit, weshalb sie nun einen Koalitionspartner braucht. CHP- und MHP-Politiker machten aber klar, dass eine Koalition mit der AKP für sie nur denkbar ist, wenn sich Erdoğan aus dem Tagesgeschäft heraushält. Der Präsident macht dazu allerdings keine Anstalten. Am Freitag kündigte er einen zweiten Anlauf zur Änderung der Verfassung an. Erdoğan hat die Absicht, die Türkei in ein Präsidialsystem zu verwandeln. Im Juli erteilten die Wähler diesem Plan eine Absage. Nun sagt Erdoğan: Die Regeln hätten sich geändert, da er als erstes Staatsoberhaupt vom Volk direkt gewählt wurde.

Kritiker werfen dem Präsidenten vor, auf Neuwahlen hingearbeitet zu haben, um für die AKP ein besseres Ergebnis zu erzielen. Vor allem die kurdische HDP hatte mit ihrem Einzug ins Parlament im Juni dafür gesorgt, dass die AKP keine absolute Mehrheit der Sitze errang. Erdoğan lässt nun keine Gelegenheit aus, um die Partei in die Nähe des Terrors der kurdischen PKK zu rücken. Im Südosten des Landes hält die Gewalt an. Am Wochenende kamen bei Anschlägen und Zusammenstößen mit mutmaßlichen PKK-Rebellen mindestens acht Soldaten und drei Kurden um.

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