Türkei:Erdoğan will keinen Kurdenstaat, aber auch keinen Konflikt

Militärmanöver in der Türkei

Türkische Panzer während eines Militärmanövers am Montag nahe der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak

(Foto: dpa)
  • Die Kurden im Nordirak wollen über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Das lehnt die türkische Regierung ab.
  • Sie begründet das mit Sorge um die Stabilität des Nachbarlandes Irak. Tatsächlich fürchtet Ankara vor allem, die Kurden in der Türkei könnten sich ein Vorbild an der Unabhängigkeitsbewegung nehmen.
  • Allerdings vermeidet Präsident Erdoğan eine Eskalation. Sein Land arbeitet politisch und wirtschaftlich eng mit dem Nordirak zusammen.

Von Luisa Seeling

Für türkische Boulevardzeitungen ist klar, was es mit dem Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak auf sich hat. Die kurdische Regionalregierung dort habe ein geheimes Abkommen mit Israel geschlossen, berichteten regierungsnahe Krawallblätter wie Yeni Şafak und Akşam, es gebe einen Plan, 200 000 kurdische Juden in einem neu gegründeten Kurdenstaat anzusiedeln.

Eine krude Theorie, doch die Botschaft ist klar: Das Referendum ist eine Verschwörung auswärtiger Mächte. Dahinter dürfte vor allem Ärger über Israel stecken, das bisher als einziges Land erklärt hat, ein unabhängiges Irakisch-Kurdistan anerkennen zu wollen.

Die Töne aus Ankara waren weniger schrill, an ihrer Position ließ die türkische Regierung gleichwohl keinen Zweifel: Man lehne das Referendum ab, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums. Die Regionalregierung in Erbil solle sich darüber im Klaren sein, dass sie "einen Preis" werde zahlen müssen, wenn sie an der Abstimmung festhalte. Eine Drohung - womit genau, blieb allerdings unklar. An diesem Montag begann Ankara an der Grenze zum Irak ein Militärmanöver mit fast 100 Fahrzeugen, offiziell Teil von Anti-Terror-Operationen in der Region. Doch der Zeitpunkt legt zumindest nahe, dass der Druck auf den nordirakischen Regionalpräsidenten Masud Barzani so erhöht werden soll. Am Wochenende hatte der türkische Regierungschef Binali Yıldırım die Volksabstimmung bereits zur "Angelegenheit der nationalen Sicherheit" erklärt.

Ein unabhängiger Kurdenstaat als Nachbar ist für die Türkei seit jeher ein Albtraum. Offiziell begründet Ankara seine Ablehnung des Referendums mit der Sorge, dass der Irak vollends zerfallen könnte. "Gott bewahre, es könnte zum Bürgerkrieg kommen", warnte vor Kurzem Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Mehr als alles andere aber fürchtet Ankara, dass die kurdische Minderheit im eigenen Land ermutigt wird, ebenfalls die Abspaltung voranzutreiben. Ankara beobachtet deshalb Autonomiebestrebungen im Norden Syriens und im Nordirak mit großem Argwohn.

Ankara will das Referendum stoppen, nicht aber den Handel

In der Türkei selbst geht das Militär mit Härte gegen kurdische Extremisten vor, insbesondere gegen die "Arbeiterpartei Kurdistans", die PKK. Auch der syrische PKK-Ableger, die Kurdenpartei PYD und ihr bewaffneter Arm, die YPG, ist nach Ansicht Ankaras eine Terrororganisation - eine Haltung, die zur Krise im Verhältnis zu Washington geführt hat, denn die Amerikaner betrachten die YPG als wichtigen Partner im Kampf gegen die IS-Terrormiliz und beliefern syrische Kurden mit Waffen.

Das Verhältnis Ankaras zur kurdischen Regionalregierung im nordirakischen Erbil war dagegen in den vergangenen Jahren pragmatisch bis freundlich; zum einen, weil es zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem konservativen Barzani keine ideologischen Gräben gibt; Barzanis Partei steht in scharfer Konkurrenz zu den linksrevolutionären kurdischen Bewegungen in Syrien und in der Türkei. Zum anderen, weil die Wirtschaftsbeziehungen eng und für beide Seiten profitabel sind. Das macht die Lage für Ankara so schwierig: Es will das Referendum stoppen, nicht aber den Handel. Man wolle die Grenzen zum Irak nach der Volksabstimmung vorerst nicht schließen, hatte Außenminister Çavuşoğlu im August erklärt, auch wenn die Abstimmung eine "schlechte Idee" sei.

Dabei wäre dies für die Türkei der stärkste Hebel. Irakisch-Kurdistan ist vom Erdöl-Export abhängig, die wichtigste Pipeline führt vom irakischen Kirkuk ins türkische Ceyhan. Bisher aber hat die Türkei keine Anstalten gemacht, diese ökonomische Lebensader zu kappen. Als der türkische Außenminister vor drei Wochen nach Erbil reiste, habe er an Barzani appelliert, das Referendum abzusagen, von Maßnahmen wie Grenzschließungen, einem Handelsembargo oder dem Aussetzen von Geldtransfers sei aber nicht die Rede gewesen, berichtet das Portal al-Monitor.

Ein hartes Vorgehen könnte kurdische Wähler in der Türkei verprellen

Vermutlich hat die Türkei den Konflikt auch deshalb nicht forciert, weil sie ihren Einfluss im Nordirak nicht verlieren will. Zurzeit sind mehrere Tausend türkische Soldaten im Nordirak stationiert, auch der türkische Geheimdienst MIT hat Büros in mehreren Städten, vor allem, um die Aktivitäten der PKK auf irakischem Boden zu überwachen und möglichst zu unterbinden. Ihre Präsenz will die Türkei auch nutzen, um über das Schicksal der turkmenischen Minderheit etwa in Kirkuk zu wachen, als deren Schutzmacht sich Ankara versteht.

Und es spricht noch mehr dagegen, dass die Türkei die Pläne aus Erbil mit aller Entschiedenheit ausbremst: Ein hartes Vorgehen gegen die nordirakischen Kurden würde konservative Kurden im eigenen Land und damit potenzielle Wähler der Regierungspartei AKP verprellen. 2019 finden die für Erdoğan alles entscheidenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, mit denen das Präsidialsystem in Kraft gesetzt wird. Der türkische Präsident braucht jede Stimme. Und es sei ja auffällig, schreibt der Journalist Mahmut Bozarslan auf al-Monitor, dass eine Reihe kleinerer kurdischer Parteien und Plattformen in der Türkei relativ unbehelligt für das nordirakische Referendum werben dürften - und das trotz des Ausnahmezustands.

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