Türkei:Erdoğan schenkt seinen Gegnern einen Hashtag

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Erdoğan beim Volk: Der türkische Präsident trifft Händler auf einem Bazar in Istanbul. (Foto: AFP)

Erstmals deutet der türkische Präsident an, dass er sich auch "zurückziehen" könnte - und überrascht damit das ganze Land. Die Opposition frohlockt auf Twitter.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ist im Wahlkampfmodus, für den 24. Juni hat er vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen angesetzt. Ausgerechnet jetzt sagt Erdoğan erstmals, dass er sich auch "zurückziehen" könnte. Er hat das in einer Sitzung seiner AKP-Fraktion in Ankara am Dienstagnachmittag eher beiläufig verkündet, aber mit der Art und Weise, wie er es gesagt hat, hat der türkische Dauerregent einen Twittersturm ausgelöst und der Opposition in seinem Land ein unverhofftes Geschenk präsentiert.

Der Präsident und Parteichef sagte in der Rede vor den Abgeordneten, seine Gegner hätten nur ein Ziel, "Recep Tayyip Erdoğan zu zerstören". Dann sagte er, "wenn unsere Nation sagt, es ist genug, werden wir uns zurückziehen". Erdoğan verwendete für "genug" das türkische Wort "taman", einen Alltagsbegriff, der mehrere Bedeutungen hat. So heißt Tamam auch so viel wie "einverstanden", Türken benutzen das Wort sehr oft. Noch am Dienstagabend schoss der Hashtag #Tamam bei Twitter auf Platz eins, weltweit, bis zum Mittwochvormittag waren es zwei Millionen Tweets. Twitter ist das von den Türken mit Abstand am meisten genutzte soziale Netzwerk.

Erdoğan habe der Opposition einen gemeinsamen Wahlslogan beschert, und das sei doch "sehr komisch"

Die türkische Opposition, die es schwer hat, in den großen Zeitungen und im Fernsehen Gehör zu finden, weil die Medien inzwischen überwiegend regierungsnah sind, bedankte sich für das unerwartete politische Geschenk mit passenden Antworten: "Vakit Tamam", die Zeit ist gekommen, schrieb der Kandidat der säkularen CHP, Muharrem İnce. Temel Karamollaoğlu, Chef der kleinen islamistischen Saadet-Partei benutzte die religiöse Formel: "Tamam Inshallah" (Genug, so Gott will). Auch der Präsidentschaftskandidat der linken Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtaş, meldete sich aus dem Gefängnis, "verspätet", wie er schrieb, wegen seiner Lage. Der bekannte türkische Journalist Ruşen Çakır fasste zusammen, Erdoğan habe der Opposition einen gemeinsamen Wahlslogan beschert, und das sei doch "sehr komisch". Die türkischen Oppositionsparteien hatten sich zuvor nicht auf einen einzigen Präsidentschaftskandidaten einigen können.

Inzwischen hat sich auch Mahir Ünal gemeldet, der Sprecher von Erdoğans Partei AKP, er schrieb, hinter den Tamam-Tweets stecke ein "Komplott", viele kämen aus dem Ausland. Die "Tastaturhelden" würden am 24. Juni die Quittung erhalten. Die Gegenkampage der Erdoğan-Unterstützer läuft auch schon, unter dem Hashtag "Devam" (Weiter), sie blieb aber bis Mittwochvormittag mit gut 360 000 Tweets weit hinter "Tamam" zurück. Viele Türken zeigten sich auch kreativ, sie schickten Fotos von Wald, Meer und Bergen und schrieben dazu "Tamam", die Zerstörung der Natur müsse aufhören. Andere twitterten, keiner könne in der Türkei nun mehr unbefangen "Tamam" sagen, ob zur Mutter, zur Katze oder zu den Kindern. Einer schrieb, jetzt könne die Welt türkisch lernen, mit Tamam gehe es los.

Erdoğan hat im April überraschend die Wahlen um mehr als ein Jahr vorgezogen, er setzt alles auf eine Karte: Künftig will er das Land mit einem Präsidialsystem regieren und auch im Parlament strebt die AKP wieder die absolute Mehrheit an. Erdoğan hat mit seiner Politik der harten Hand das Land tief gespalten, aber der größte Teil seiner Unterstützer steht weiter zu ihm. Sie halten viele wirtschaftliche und soziale Fortschritte, die das Land in den 16 Jahren gemacht hat, in denen die AKP regiert, Erdoğan persönlich zu Gute.

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