Türkei-Wahl:Erdoğan mit neuer Machtfülle

Türkei-Wahl: Der türkische Präsident verkündet seinen Sieg.

Der türkische Präsident verkündet seinen Sieg.

(Foto: AP)
  • Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich noch vor dem Ende der Auszählung der Stimmen zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt.
  • Erst in der Nacht bestätigte die Wahlkommission das Ergebnis: Erdoğan habe die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten.
  • Die Opposition äußert Manipulationsvorwürfe.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Recep Tayyip Erdoğan hat die Präsidentenwahl in der Türkei gewonnen. Er erreichte nach der Auszählung von 95 Prozent der Stimmen am späten Sonntagabend 52,5 Prozent. Damit bleibt Erdoğan, der mit seiner konservativ-islamischen Partei AKP seit 16 Jahren die Geschicke der Türkei bestimmt, Staatspräsident und hat künftig mehr Macht als je ein türkischer Politiker vor ihm. Das Ergebnis für Erdoğan ist besser, als es die meisten Umfragen vorhergesagt haben.

Die Ergebnisse wurden von der staatlichen Agentur Anadolu verbreitet, sie ist an Wahlabenden die einzige offizielle Quelle. Darüber dürfte es noch einen heftigen Streit geben. Die CHP, die größte Oppositionspartei, warf Anadolu vor, die Ergebnisse nicht korrekt wiederzugeben. Erdoğan erklärte sich am späten Abend noch zum Wahlsieger, erst in der Nacht folgte die offizielle Bestätigung der Wahlkommission: Erdoğan habe nach Auszählung von knapp 98 Prozent der Stimmen "die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen" erhalten.

Der Präsidentschaftskandidat der CHP, Muharrem İnce, kam nach den offiziellen Zahlen mit 30,8 Prozent der Stimmen auf Platz zwei. Ihm folgt der Kandidaten der Kurden-Partei HDP, Selahattin Demirtaş, der seinen Wahlkampf vom Gefängnis aus führen musste. Er erreichte 8,2 Prozent und lag damit vor der Kandidatin der neuen rechten İyi-Partei, Meral Akşener, die 7,4 Prozent der Stimmen erhielt.

Kurdische HDP überspringt Zehn-Prozent-Hürde

Bei der Parlamentswahl erlitt die AKP dagegen einen deutlichen Dämpfer. Sie kommt nur noch auf etwa 42,6 Prozent der Stimmen, bei der letzten Wahl im November 2015 waren es noch 49,5 Prozent. Damit hat die AKP die absolute Mehrheit im 600 köpfigen Parlament verloren, sie kommt noch auf 293 Sitze. Damit braucht sie ihren ultrarechten Partner MHP, mit dem sie erstmals ein offizielles Wahlbündnis geschlossen hatte. Die MHP bekommt 49 Abgeordnete. Die kurdische HDP schaffte mit 11,1 Prozent nach einer Zitterpartie den Sprung über die hohe Zehn-Prozent-Hürde.

Die CHP kam auf 22,7 Prozent, womit sie sich gegenüber 2015 nicht verbessert hat. Insgesamt waren in der Türkei am Sonntag mehr als 56 Millionen Wahlberechtigte zu der vorgezogenen Präsidenten- und Parlamentswahl aufgerufen. Drei Millionen Türken konnten zuvor schon im Ausland wählen. Bei den Deutschtürken, der mit Abstand größten Gruppe, liegt Erdoğan wohl weit deutlicher vorne, mit über 60 Prozent, allerdings waren hier die Stimmen noch nicht vollständig ausgezählt.

Der Präsident vergibt künftig alle wichtigen Posten

Erdoğan hatte die Wahl im April überraschend ausgerufen, eineinhalb Jahre vor dem eigentlichen Termin. Das Präsidialsystem, das nun gilt, hatte Erdoğan schon vergangenes Jahr durchgesetzt. Ein Referendum dazu gewann er knapp mit 51,4 Prozent der Stimmen.

Schon damals half ihm die ultrarechte MHP. Einen Premierminister gibt es nach der Verfassungsänderung nicht mehr, alle Macht geht auf den Staatspräsidenten über. Der letzte Premier, Binali Yıldırım, sagte am Sonntag nach seiner Stimmabgabe, er wolle jetzt seinen Stuhl versteigern lassen. Der Präsident vergibt künftig die wichtigsten Posten im Staat, von der Armee bis zur Justiz. Nach der alten Verfassung war das türkische Staatsoberhaupt zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Nun darf der Präsident auch Parteichef sein. Erdoğan ist dies schon seit Mai 2017 wieder, nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten im August 2014 hatte er das Parteiamt abgeben müssen.

Sein Herausforderer İnce, 54, nahm nach seiner Nominierung durch seine Partei demonstrativ das CHP-Abzeichen vom Jackett.

Das Präsidialsystem soll zu einer "demokratischen Revolution" führen

Erdoğan, 64, wählte am Sonntagnachmittag im konservativen Istanbuler Stadtteil Üsküdar, auf der asiatischen Seite der Stadt, mit seiner Frau Emine und dem Schwiegersohn Berat Albayrak. Der war zuletzt Energieminister, auf der AKP-Liste in Istanbul hatte ihm Erdoğan jetzt seinen Platz überlassen. Erdoğan verteidigte in einem kurzen Statement erneut das Präsidialsystem, das Land werde damit eine "demokratische Revolution" erleben.

Auch der Wahltag wurde von Sorgen wegen möglicher Manipulationen begleitet. In der Provinz Şanlıurfa stoppte die Polizei ein Auto mit Warnschüssen, dessen Fahrer sich einer Kontrolle entziehen wollte. In dem Auto sollen sich vier Säcke mit gestempelten Stimmzetteln befunden haben. Drei Männer wurden festgenommen, eine Untersuchung eingeleitet, wie mehrere türkische Medien meldeten.

HDP-Kandidat Demirtaş wählt aus dem Gefängnis

Die Region ist eine Hochburg der linken Kurdenpartei HDP. Wahlbeobachter von Oppositionsparteien versicherten, man werde Unregelmäßigkeiten aufdecken. İnce twitterte: Die Wähler sollten beruhigt sein, "um mein Leben werde ich eure Stimmen beschützen". İnce reiste nach der Stimmabgabe im westtürkischen Yalova nach Ankara. Er verbrachte dort den Abend vor der Zentrale der Wahlbehörde, um den Wahlprozess zu überwachen, wie er sagte. CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu rief alle Beamten auf, nicht zu vergessen, dass sie dem Staat dienten und nicht einer Partei. Hunderttausende Freiwillige waren als Wahlbeobachter im Einsatz, dazu Hunderte internationale Beobachter.

Demirtaş gab seine Stimme im Gefängnis von Edirne ab. Er ist seit November 2016 wegen "Terrorvorwürfen" in Untersuchungshaft. Nach der Stimmabgabe twitterte er: "Ich wünsche mir, dass jeder seine Stimme zum Wohle der Demokratie in unserem Land nutzt." Demirtaş' Frau Başak gehörte nach Öffnung der Wahllokale um acht Uhr Ortszeit (sieben Uhr in Deutschland) zu den ersten Wählern in der Kurden-Metropole Diyarbakır.

In einigen Urlaubsorten blieben Restaurants und Souvenirshops verwaist. Touristen wurden mit Zetteln informiert: "Wir haben geschlossen, wir gehen wählen, wir kommen zurück." Viele müssen zur Stimmabgabe an ihren Geburtsort reisen, weil sie dort registriert sind. Teehäuser mussten auch offiziell zu bleiben. Der Verkauf von Alkohol war bis Mitternacht verboten, weit über die Schließung der Wahllokale um 17 Uhr Ortszeit hinaus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: