Türkei:Erdoğan reaktiviert seinen Plan für ein Präsidialsystem

Erdogan, Türkei

Will nicht wieder zurück in den Ursprungsmodus: Staatschef Recep Tayyip Erdoğan bei einem Auftritt im zentralanatolischen Konya am Freitag.

(Foto: Yasin Bulbul/AP)

Der Präsident nutzt seine steigenden Beliebtheitswerte, um seine Macht weiter auszubauen. Er hat große Pläne für sich und sein Land.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Die Türkei befindet sich in einer Zwischenphase, sie heißt: Ausnahmezustand. Dass das Land nach dem Putschversuch am 15. Juli irgendwann einmal wieder in seinen ursprünglichen Betriebsmodus zurückkehrt, scheint ungewisser denn je zu sein. Denn Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan macht regelrecht Wahlkampf.

Sechs Auftritte an zwei Tagen - er hat große Pläne für sich und sein Land. Bei einem Auftritt im zentralanatolischen Konya beschrieb er, wie er sein Land sieht: Er verglich die Türkei mit einem Auto mit durchdrehenden Rädern, das nicht vom Fleck komme. Der Grund dafür? Das Regierungssystem, nicht der Fahrer.

Erdoğan ist mächtiger, als es ihm die türkische Verfassung erlaubt. Eigentlich müsste er sich aus der Tagespolitik heraushalten, denn die ist das Geschäft seines Premiers, Binali Yıldırım. Aber seit Erdoğan 2014 zum Staatspräsidenten aufstieg - er ist der erste, der vom Volk direkt gewählt wurde - hat er sein Amt nie so verstanden, nur noch Zuschauer sein zu dürfen.

Er will, dass die Türkei zum Präsidialsystem übergeht, das weit mehr Befugnisse in die Hände des Präsidenten legt. Dieser Schritt würde rechtlich nur noch nachvollziehen, was heute bereits Praxis ist: Erdoğan herrscht. In Konya sagt er: "Wir müssen die Probleme aktiv angehen. Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren."

Der Wunsch nach dem Wechsel zum Präsidialsystem ist alles andere als neu. Aber es ist das erste Mal seit dem Putschversuch, dass Erdoğan und sein Premier den Vorschlag wieder derart entschlossen aufgreifen. Ihr Wunsch ruhte, wenn man so will.

Zeitpunkt für den Staatsumbau

Der versuchte Umsturz durch Teile des Militärs hat das Land in eine Krise gestürzt, knapp 300 Menschen starben in der Nacht. Dass der Putsch keinen Erfolg hatte, lag vor allem daran, dass sich die Bürger in der Nacht zu Hunderttausenden gegen die Putschisten aufgelehnt hatten. Sie verteidigten ihre gewählte Regierung. Einige Wochen lang ließ Erdoğan seine Anhänger zu sogenannten Demokratie-Wachen zusammenkommen. Es war nicht der passende Zeitpunkt, um wieder den großen Umbau anzusprechen.

Im vergangenen Jahr hatte Erdoğan die Verfassungsänderung zu seinem zentralen Thema im Parlamentswahlkampf gemacht. Bei der Abstimmung im Juni 2015 verlor seine AKP die absolute Mehrheit - als ein Grund für die Niederlage damals galt das Unbehagen in der Bevölkerung, Erdoğan mit noch mehr Macht auszustatten.

Nach Neuwahlen im Herbst kann die AKP zwar wieder alleine das Land regieren, die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit blieb ihr dennoch verwehrt. Und große Teile der Opposition denken gar nicht daran, von sich aus die Rolle die Parlaments zu schwächen.

Ein Zurück zum alten System soll es wohl nicht geben

Erdoğan aber hat seinen Plan nie aufgegeben. Es wirkt wie orchestriert, dass auch Premier Yıldırım jetzt wieder für den Umbau trommelt. Er nannte ihn vor Wirtschaftsjournalisten die "größte Strukturreform" des Landes, wenn sie denn kommt.

Wer seinen Ausführungen der vergangenen Tage folgt, kann den Eindruck gewinnen, dass es nach dem Ausnahmezustand jedenfalls kein Zurück mehr zum alten System geben soll. Der Ausnahmezustand, gerade erst um 90 Tage verlängert, erlaubt Erdoğan, per Dekret durchzuregieren. Ein Dauerzustand kann er aber nicht sein.

Erdoğan hat in den vergangenen Monaten noch einmal den Eindruck in der Bevölkerung verstärkt, das Land brauche einen starken Anführer. Mit brutaler Härte geht die Regierung gegen Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor. Dessen Netzwerk, das Erdoğan einst genutzt hatte, um seine Macht zu festigen, macht er für den Putschversuch verantwortlich. Zehntausende angebliche "Gülenisten" haben seither ihren Job verloren, Tausende sind inhaftiert. Sie werden verdächtigt, den Staat unterwandert zu haben.

Neuer Geist der Einigkeit

Die Opposition trägt die These von der Gülen-Verschwörung voll mit - den Bürgern kann Erdoğan sich als großer Aufräumer präsentieren. Seine Zustimmungswerte sind seit der Neuwahl im November noch einmal deutlich gestiegen. Die AKP könnte, wenn jetzt gewählt würde, neuesten Umfragen zufolge auf knapp 55 der Stimmen kommen.

Direkt nach dem Putschversuch hatten sich Regierung und Opposition das erste Mal seit Jahren aufeinander zubewegt. So tiefgreifend war die Putsch-Erfahrung im Land, dass ein neuer Geist der Einigkeit beschworen wurde.

Der hat sich schon wieder verflüchtigt. Die Türkei könne ihre Probleme nicht lösen, wenn sie keine starke, keine stabile Regierung habe, erklärt Premier Yıldırım. Ginge es allein nach ihm und Erdoğan, dann würden sie ihren Vorschlag dem Volk in einem Referendum vorlegen. Selbst dafür braucht die AKP noch 330 Stimmen im 550 Abgeordnete umfassenden Parlament. Sie kommt auf 317 Abgeordnete. Mit der gefühlten Stärke der AKP hat die Zahl längst nichts mehr zu tun.

Hinzu kommt, dass am Dienstag die ultranationalistische Oppositionspartei MHP dem Staatspräsidenten in Aussicht gestellt hat, ein Referendum mitzutragen. Man habe keine Angst vor der Entscheidung des Volkes, sagte deren Vorsitzender Devlet Bahçeli. Mit einem Referendum hätte Erdoğan schon viel gewonnen.

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