Türkei:Ein bisschen weiblicher

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Die Religionsbehörde Diyanet steht unter Veränderungsdruck. Nun soll die Institution weiblicher werden. Die neue Vize-Chefin Huriye Martı ist zwar die erste Frau in der mächtigen Position, als Reformerin ist sie jedoch noch nicht in Erscheinung getreten.

Von Luisa Seeling, München

Bekannt war die Personalie schon länger, mit der Veröffentlichung in der staatlichen Gazette ist sie nun amtlich: Die Theologieprofessorin Huriye Martı ist zur Vize-Präsidentin der türkischen Religionsbehörde ernannt worden. Sie ist die erste Frau auf einem so hohen Posten in der Institution, die im Türkischen Diyanet heißt und alle religiösen Belange im Staat regelt, von Korankursen bis zur Entsendung der Imame. Kurz zuvor hatte der Vorsitzende der Diyanet, Ali Erbaş, angekündigt, dass seine Behörde künftig generell stärker auf Mitarbeiterinnen setzen wolle. "Wir werden sobald wie möglich in allen Provinzen weibliche stellvertretende Muftis auswählen und ernennen", sagte Erbaş bei einer Pressekonferenz in Ankara. Die Diyanet, so die Botschaft, soll weiblicher werden - wenigsten ein bisschen.

Der Vorstoß erstaunt, eigentlich war die Behörde, der Erbaş erst seit September vorsteht, in den vergangenen Jahren nicht gerade mit progressiven Ideen zur Rolle der Frau aufgefallen. Auch sonst steht die Diyanet in der Kritik, immer wieder löst sie mit ihren teils kuriosen Empfehlungen Kontroversen aus. Ihre Religionsgelehrten erklärten bereits gefärbte Schnauzbärte, Augenbrauenzupfen, Händchenhalten und den Kauf von Bitcoins für unislamisch, was im Land viele mit beißendem Spott quittierten. Als sich jedoch Anfang des Jahres auf der Behörden-Website die Feststellung fand, dass nach islamischem Recht Mädchen ab dem Alter von neun Jahren heiratsfähig seien, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Behörde ruderte zurück, machte geltend, dass sie derlei Rechtsauslegung nur wiedergebe, keineswegs empfehle - und löschte den Eintrag. Doch in der Wahrnehmung ihrer Kritiker hatte die Diyanet mal wieder bewiesen, dass sie einen rückschrittlichen Islam propagiert.

Gegründet in den Anfängen der Republik, bestand die Hauptaufgabe der Religionsbehörde über Jahrzehnte vor allem darin, den staatlich verordneten Laizismus zu hüten; anders als etwa in Frankreich aber waren in der Türkei Religion und Staat nie strikt voneinander getrennt. Vielmehr kontrollierte der Staat die Religion, er bestimmte, was die Imame in den heute etwa 90 000 Moscheen des Landes predigen sollten. Heute, nach anderthalb Jahrzehnten AKP-Regierung, ist die dem Innenministerium unterstellte Behörde ein Koloss, der fast 120 000 Menschen beschäftigt. Ihr Budget hat sich seit 2006 vervierfacht. Kritiker werfen ihr vor, immer mehr Hardlinern Raum für krude Ideen zu geben.

Doch nicht nur die eher säkular geprägten Teile der Bevölkerung sind beunruhigt über Macht und Einfluss ultrakonservativer Prediger. Auch der Diyanet-Chef selbst und sogar der Staatspräsident, Recep Tayyip Erdoğan, stören sich am ramponierten Image der Behörde und ihrer Vertreter. Ali Erbaş sah sich zuletzt genötigt, Prediger im ganzen Land zu ermahnen, sie sollten aufpassen, wenn sie Bemerkungen über Frauen machten. Auch Prediger, die mit lauteren Absichten sprächen, "sollten extra vorsichtig sein, um keine missverständlichen Bemerkungen zu machen", sagte der Diyanet-Chef. Kurz zuvor hatte Erdoğan bei einer Veranstaltung am Weltfrauentag Prediger kritisiert, die sexistische Kommentare gemacht und Gewalt gegen Frauen legitimiert hatten. Diese Leute, sagte Erdoğan, hätten kein anderes Ziel, als "die Werte unserer Religion, unserer Nation zu missbrauchen".

Der Präsident verblüffte zuletzt mit dem Satz, der Islam könnte ein "Update" gebrauchen

Der Präsident verblüffte in dem Zusammenhang auch mit dem Satz, der Islam brauche ein "Update". Zwar stellte die Religionsbehörde eilig klar, dass dies nicht im Sinne von "Reform" zu verstehen sei. Erkennbar war aber doch das Bemühen, allzu archaischen Vorstellungen von der Rolle der Frau eine Absage zu erteilen. Der Journalist Mustafa Akyol hält diese neuen Töne für wahltaktisch motiviert: Ansichten wie die, dass kleine Mädchen heiratsfähig seien, "haben türkische Säkulare schockiert, die beinahe alle gegen Erdoğan sind", schreibt er auf der Analyseplattform al-Monitor. Die meisten moderat Religiös-Konservativen, von denen viele Erdoğan wählten, seien aber nicht weniger schockiert gewesen. Erdoğan sei kein "doktrinärer Kleriker", sondern ein populistischer Politiker; ein ultrakonservativer Islam wie in Saudi-Arabien sei in der Türkei nicht mehrheitsfähig, weshalb die Aussagen radikaler Prediger auch im Regierungslager scharf verurteilt worden seien.

Anzeichen, dass Diyanet nun zum Hort der Liberalität wird, gibt es dennoch eher keine. Moderate Kräfte, sagen Beobachter, haben an Einfluss verloren. Die neue Vize-Chefin, Huriye Martı, ist zwar die erste Frau in so mächtiger Position, als Reformerin ist sie bisher aber nicht in Erscheinung getreten. Und was der Präsident sich für ein "Update" vorstellt, ist unklar. Bisher sind von ihm vor allem Aussagen wie diese bekannt: Frauen sollten mindestens drei Kinder bekommen, und Verhütung sei "Verrat" an der Heimat.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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