Türkei:Ein bisschen Opposition

Innenpolitisch wird der türkische Präsident Erdoğan kaum für seine Wutreden gegen Europa kritisiert. Seine Kontrahenten wollen trotzdem verhindern, dass er das Verfassungsreferendum gewinnt.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Die türkische Opposition versucht sich gerade an einem bedingten "Nein". Das bedeutet, gerade nur so viel "Nein" zu sagen, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan am 16. April beim Verfassungsreferendum der Aufstieg zum Alleinherrscher verwehrt bleibt. Im Streit mit den EU-Ländern über verhinderte Ministerauftritte ist sie hingegen weitgehend auf Regierungslinie. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu griff das Verhalten der niederländischen Behörden, die ihren Beitrag dazu geleistet hatten, dass die Lage am Wochenende außer Kontrolle geriet, in der Fraktionssitzung seiner Partei CHP auf. "Die türkische Republik wurde noch nie so erniedrigt", sagte er. Nicht einmal in osmanischer Zeit sei das vorgekommen. Er verlangt noch mehr Härte von Erdoğan.

Der Streit über verhinderte Wahlkampfauftritte lässt die Parteien zusammenrücken

Devlet Bahçeli, Vorsitzender der ultranationalistischen Partei MHP, würde gerne mit Erdoğan nach Europa fliegen, um Wahlkampf für die angestrebte neue Türkei machen. Er hat Erdoğans Projekt längst zu seinem gemacht. In der Tonlage, in der er Europa kritisiert und droht, steht er Erdoğan kaum mehr nach. Von der kurdischen Partei HDP, die einmal versprochen hatte, alles zu unternehmen, damit Erdoğan nicht Superpräsident wird, ist nur der Rumpf übrig geblieben. Ihr charismatischer Anführer Selahattin Demirtaş sitzt im Gefängnis, weil die Justiz ihn unter Terrorverdacht gestellt hat. In den Referendums-Wahlkampf wird er nicht eingreifen können. Aber selbst die Rumpf-Partei äußerte, wenn auch zurückhaltend, Kritik am Vorgehen mancher EU-Länder.

Türkei: "Hayır" - türkisch für "Nein"" - steht auf den Plakaten von prokurdischen Demonstranten in Istanbul. Sie wehren sich gegen Erdoğans umstrittene Pläne.

"Hayır" - türkisch für "Nein"" - steht auf den Plakaten von prokurdischen Demonstranten in Istanbul. Sie wehren sich gegen Erdoğans umstrittene Pläne.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Diesen Konflikt mit Europa trägt Erdoğan zur Abwechslung mal nicht alleine mit seiner alleinregierenden AKP aus. Der Streit über die verhinderten Wahlkampfauftritte lässt die zerstrittenen Parteien zusammenrücken. Es ist aber nicht jener Geist spürbar, der kurz nach dem Putschversuch im vergangenen Sommer die Hoffnung auf einen Neuanfang in der türkischen Politik weckte. Damals war flüchtig von Versöhnung die Rede. Dieses Mal speist sich der Geist teils aus gemeinsamer Enttäuschung über die EU, aber ebenso aus dem Gefühl, gut einen Monat vor dem alles entscheidenden Referendum keinen Fehler machen zu wollen. Dazu gehört die große Sorge, sich plötzlich auf Seiten jener wiederzufinden, die Erdoğan bei einem Fernsehauftritt am Montagabend als "Türkei-Feinde" darstellte. Er meinte die Europäer. "Die Türkei ist stark, die Türkei wird stärker. Das macht sie verrückt."

Saarland untersagt Auftritte türkischer Politiker

Die CDU-geführte Landesregierung des Saarlands hat angekündigt, jedwede Wahlkampfauftritte türkischer Politiker zur geplanten Verfassungsreform unterbinden zu wollen. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erklärte, man werde alle Möglichkeiten ergreifen, solche Auftritte auf saarländischem Boden zu untersagen. Sie beruft sich dabei auf Paragraf 47 des Aufenthaltsgesetzes. Demnach hat jedes Bundesland die Möglichkeit, die politische Betätigung von Ausländern zu untersagen, wenn das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern gefährdet ist. Kramp-Karrenbauer, die selbst in eineinhalb Wochen eine Landtagswahl zu bestehen hat, betonte, innertürkische Konflikte hätten in Deutschland nichts zu suchen. Wahlkampfauftritte, die den inneren Frieden in unserem Land gefährden, gehören verboten, betonte sie. Bislang hat kein türkischer Politiker den Wunsch erkennen lassen, im Saarland aufzutreten. Saarlands Regierungssprecher Thorsten Kein sagte, es handele sich um eine präventive Maßnahme für den Fall, dass es doch Interesse an solchen Versammlungen geben sollte. Er machte deutlich, dass die schwarz-rote Landesregierung die Verantwortung für Absagen im Fall des Falles nicht den Kommunen überlassen wolle. Ausdrücklich verneinte Klein die Frage, ob es einen Zusammenhang mit der Initiative Kramp-Karrenbauers und der Landtagswahl am 26. März gebe. Man habe in der Landesregierung nach dem Eklat um Auftritte türkischer Politiker in den Niederlanden nach Wegen gesucht, um solche Auseinandersetzungen zu verhindern und halte den Weg über das Aufenthaltsgesetz für wirksam. Susanne Höll

Einen Monat vor dem Referendum gilt der Ausgang als offen. Als Erdoğan im Herbst seinen lang gehegten Plan vom Präsidialsystem reaktivierte, sicherte ihm wenig später die MHP die Unterstützung zu. Dieser islamisch-konservativ-nationalistische Block galt der Regierung als stark genug, um das Projekt in einer Volksabstimmung durchzusetzen. Aber die Siegesgewissheit schwindet. Die AKP hat Mühe, ihre Anhängerschaft für das Präsidialsystem zu begeistern. Teile der MHP, vor allem die Basis, rebellieren offen dagegen. Die CHP versucht die Entscheidung über Erdoğans Machtfülle von der Frage der Parteizugehörigkeit zu trennen - bislang mit Erfolg. Im Streit mit Europa will niemand in der Opposition das Erreichte aufs Spiel setzen.

Erdoğan wirft den Niederlanden vor, für das Massaker von Srebrenica verantwortlich zu sein

Auch in Teilen von Kılıçdaroğlus säkularer Partei, der CHP, ist ein engstirniger Nationalismus weit verbreitet. Der Parteivorsitzende selbst konnte in den vergangenen Monaten auch seine persönliche Enttäuschung über Europa nicht mehr verbergen. Für ihn hatte Erdoğans Machtausbau bereits mit einer Verfassungsänderung im Jahr 2010 begonnen. Damals habe die Regierung begonnen, die Justiz unter ihrer Kontrolle zu bringen. Damals habe die EU die Schwierigkeiten nicht sehen wollen. In jüngerer Zeit hat sich Kılıçdaroğlu über die Besuche von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Erdoğan vor wichtigen Abstimmungen wie jetzt dem Referendum geärgert. Sie leiste damit Wahlkampfhilfe. Das Zaudern der EU in der Flüchtlingskrise sowie beim in Aussicht gestellten Ende des Visumzwangs dürften dazu beigetragen haben, dass die EU-Begeisterung in der Türkei erloschen ist. Kılıçdaroğlu hätte auch ohne Erdoğan im Nacken Mühe, das Verhalten der Europäer im Umgang mit türkischen Regierungsmitgliedern vor den eigenen Anhängern zu verteidigen, wenn er das überhaupt wollte.

Erdoğan sagt ganz offen, dass für ihn im Moment der 16. April am wichtigsten ist, der Tag des Referendums. Alles andere hat sich unterzuordnen. Aber das gilt auch für die Opposition. Am Dienstag setzte Erdoğan seine Schimpftiraden auf die Niederlande und Deutschland fort. Von Banditentum, Staatsterrorismus und verdorbenem Charakter war die Rede. Den Niederlanden lastete er das Massaker im bosnischen Srebrenica im Jahr 1995 an.

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