Türkei:Diener des Staates

Mehmet Gormez Speaks about Opening the Diyanet Center of America

Man hat Mehmet Görmez schon einen Hardliner, Liberalen, Reformer genannt. Der Präsident der Religionsbehörde ist schwer zu greifen.

(Foto: Anadolu Agency/Getty Images)

In Erdoğans Streben nach Macht spielt die Religionsbehörde eine wichtige Rolle. Mit Spitzeleien in Deutschland habe man aber nichts zu tun, sagt ihr Präsident.

Von Mike Szymanski, Ankara

Deutschstunde im Klassenraum C 205. Die Lehrerin fragt: Wer möchte gerne nach Deutschland? Ein Dutzend Arme schnellen in die Höhe. Erwachsene Männer sitzen an Vierertischen vor Arbeitsblättern. An der Tafel ein Satz, halb Unterricht, halb Belehrung: "Bitte rauchen Sie hier nicht, das ist verboten." Der Blick aus dem Fenster auf die Ahmet Hamdi Akseki-Moschee bietet wenig Abwechslung, am Fensterrahmen kleben Zettel mit Vokabeln: Toilette, Treppe, Tür. .

. Die türkische Religionsbehörde Diyanet will in diesem Jahr 120 Imame nach Deutschland schicken. Engin Aydın ist einer von ihnen. Vier Monate Fortbildung in der Diyanet-Zentrale in Ankara müssen reichen für eine Aufgabe, die lange nicht so schwierig erschien wie jetzt. Aydın soll den frommen Türken in Deutschland in Glaubensfragen zur Seite stehen. Er wird seinen Dienst in einem der etwa 900 Moscheevereine aufnehmen, die unter dem Dachverband Ditib mit Sitz in Köln zusammengefasst sind. Aydın kommt als Bediensteter des türkischen Staates, das macht seinen Job nicht leichter. Vor Weihnachten wurde bekannt, dass Ditib-Imame Glaubensbrüder bespitzelt haben sollen. Sie sollen Informationen über mutmaßliche Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen an Ankara weitergeben haben.

Die Aufarbeitung des Putsches ist ein Kampf. Er wird längst auch auf deutschem Boden ausgetragen

Die türkische Regierung vermutet Gülens Netzwerk hinter dem Putschversuch vom Sommer 2016. Fethullah Gülen hatte einst Recep Tayyip Erdoğan an die Macht verholfen. Jetzt soll er all seine Kraft gegen den Staatspräsidenten gerichtet haben. In der Türkei ist von einer gigantischen Verschwörung die Rede. Die Aufarbeitung des Putschversuchs ist ein Kampf. Wie der Fall der Imame aus Deutschland zeigt, wird er längst auch auf deutschem Boden ausgetragen. Auf einmal gerät Ditib in den Fokus, mittelbar kontrolliert von Ankara.

Die Imame im Klassenraum sagen, es gehe ihnen nur darum, ihre religiösen Aufgaben zu erfüllen, dann werde es auch keine Probleme geben. Aber bevor sie nach Deutschland kommen, werden sie sich wohl noch mit einer schwierigen Vokabel vertraut machen müssen: "Spionageverdacht". Die Bundesanwaltschaft hat deshalb Ermittlungen aufgenommen. Im deutsch-türkischen Verhältnis herrscht eine Vertrauenskrise, die allerdings auf Gegenseitigkeit beruht. Rechtspopulistische Kräfte wie die AfD werden in Deutschland stärker. Unter den Imamen ist von Fremdenhass die Rede. Aydın sagt: "Wir spüren, dass sich die Situation verhärtet hat."

Präsident des Amtes für Religionsangelegenheiten ist seit 2010 Mehmet Görmez. Er empfängt im Amts-Kaftan. Als Hardliner, als Reformer, als Liberaler wurde er schon bezeichnet. Das zeigt, wie schwer zu fassen ist, wo er tatsächlich steht. In Fragen der Religionsauslegung zeigt sich die Behörde mal fortschrittlich, mal rückwärtsgewandt. Görmez bezeichnete die in Teilen des Landes immer noch verbreitete Kinderheirat 2013 als "inakzeptables Vergehen". Viel Ärger brachte ihm die Freitagspredigt vor dem Jahreswechsel ein, Silvesterfeiern wurden darin als unislamisch kritisiert. Kurz darauf richtete ein Attentäter der Terrormiliz IS auf einer Silvesterfeier in einem Nachtclub ein Blutbad an. Görmez stellte klar, dass auch solche Taten abscheulich seien.

Görmez ist mächtiger als mancher von Erdoğans Ministern. Als es im Sommer 2015 Streit darum gab, ob Görmez einen Dienstwagen für mehr als 300 000 Euro haben soll, verteidigte Erdoğan die Pläne mit den Worten: "Mehmet Görmez ist nicht nur der religiöse Führer der Türkei, er ist ein geschätzter religiöser Führer in der gesamten islamischen Welt." Die Opposition spottete, mit einem Mercedes könne man nicht ins Paradies fahren.

Seit den Spitzelvorwürfen heißt es in Deutschland wieder, er und die Ditib seien Erdoğans "verlängerter Arm", seine "Filiale". Diesen Angriff kontert der 58-Jährige in seinem Gästesaal ziemlich entspannt. Wenn man schon Körperteile für einen Vergleich heranziehe, solle man doch bitte schön das Herz wählen. Diyanet sei eine religiöse Einrichtung und kein Instrument türkischer Außenpolitik. "Die Religionsbehörde erwägt keinesfalls, sich in irgendeinem Land einzumischen", sagt er.

Ginge es nach Görmez, sollten die Türkei und Deutschland zur Tagesordnung zurückkehren

In Erdoğans Streben nach Macht hat Diyanet in den vergangenen Jahren eine immer wichtigere Rolle eingenommen. Als Erdoğan seine AKP 2002 an die Macht führte, tat er das noch mit dem Image als "konservative, demokratische" Kraft. Das islamische Selbstverständnis hatte zurückzustehen. Heute arbeitet er an einer frommen Generation, baut religiöse Schulen. 2015 lag das Budget von Diyanet bei mehr als 1,5 Milliarden Euro, dreimal so viel wie vor etwa zehn Jahren. 10 000 neue Moscheen sind entstanden. Seit 2010 stieg die Zahl der Mitarbeiter bei Diyanet um fast 50 Prozent. In Görmez' Verständnis wird das Verhältnis des Westens mit der islamischen Welt in der Türkei bestimmt.

Ginge es nach ihm, sollten Ankara und Deutschland bald wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Aber die Vorwürfe haben offenbart, wie tief das Misstrauen sitzt. Erdoğan gilt vielen Deutschen nur noch als autoritärer Herrscher. In Teilen der türkischen Community in Deutschland genießt er aber weiter großen Rückhalt. Sie ist genauso gespalten wie die türkische Gesellschaft. Görmez sagt: "Wir waren nie dort, wo wir nicht erwünscht gewesen sind." Aber Diyanet könne drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland "nicht den Rücken zukehren". Die neuen Imame packen bald ihre Koffer.

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