Türkei:Die Verhaftungs-Welle rollt

Türkei: Anhänger des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan gehen in der Nähe des Armee-Hauptquartiers in Ankara auf einen Kameramann los.

Anhänger des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan gehen in der Nähe des Armee-Hauptquartiers in Ankara auf einen Kameramann los.

(Foto: Ali Unal/AP)

Nach Justiz, Verwaltung und Bildungswesen geraten in der Türkei die Medien ins Visier. 42 Journalisten werden mit Haftbefehl gesucht, wer von ihnen der Gülen-Bewegung nahesteht, ist aber kaum festzustellen.

Von Luisa Seeling

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die jüngste Verhaftungswelle in der Türkei auch die Medien erfasst. Am Montag war es dann so weit: Die Istanbuler Staatsanwaltschaft ordnete im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Putschversuch vor gut einer Woche die Festnahme von 42 Journalisten an. Fünf der zur Fahndung Ausgeschriebenen seien bereits festgenommen worden, meldete Montagmittag die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu, die übrigen Verhaftungen stünden noch aus. Außerdem wurden am Montag Haftbefehle gegen 31 Akademiker vollstreckt.

42 und 31, das sind verglichen mit den mehr als 13 000 Festnahmen und 60 000 Entlassungen der vergangenen Tage eine verschwindend geringe Zahl - so zynisch das klingen mag. Doch die Haftbefehle zeigen, dass sich die Festnahmewelle keineswegs auf "Säuberungen" im Staatsapparat beschränkt, wie Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt hat, sondern dass die ganze Gesellschaft durchkämmt wird.

Dem Eindruck, es gehe bloß darum, Journalisten mundtot zu machen, versuchte das Präsidentenbüro entgegenzuwirken, indem es am Montag eine Mitteilung an ausländische Medien verbreitete: Die Haftbefehle der Staatsanwaltschaft seien nicht wegen "journalistischer Aktivitäten, sondern eines möglicherweise kriminellen Verhaltens" angeordnet worden.

Berichten zufolge stehen die Haftbefehle im Zusammenhang mit dem Putschversuch am 15. Juli, für den Ankara den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Gülen und Erdoğan stammen beide aus dem konservativ-islamischen Lager, lange waren sie Verbündete gegen das laizistische Establishment.

Zuletzt aber tobte ein Machtkampf, 2013 kam es zum Bruch: Gülen-nahe Staatsanwälte ermittelten in höchsten AKP-Kreisen, sie warfen unter anderem Bilal Erdoğan, dem Sohn des damaligen Premiers, korrupte Geschäfte vor. Seitdem verfolgt Erdoğan, der 2014 ins Präsidentenamt wechselte, unbarmherzig jeden, der zur Gülen-Bewegung gehören soll.

Von den 42 Journalisten haben viele für Sender oder Zeitungen gearbeitet, die der Hizmet-Bewegung nahestehen, so die Selbstbezeichnung der Gülen-Unterstützer. So fahnden die Behörden Regierungsmedien zufolge nach Chefredakteur Erkan Acar von der Zeitung Özgür Düşünce und dem Nachrichtenmoderator Erkan Akkuş von dem Fernsehsender Can Erzincan. Beide Medien sind aus der Zeitung Bugün und dem Sender Bugün TV hervorgegangen, die der Koza Ipek Holding gehörten - jenem Medienkonzern, der im vergangenen Herbst kurz vor der zweiten Parlamentswahl unter staatliche Aufsicht gestellt wurde. Offizielle Begründung damals: Terrorfinanzierung - denn die Gülen-Bewegung gilt in der Türkei inzwischen als Terrororganisation. Haftbefehle liegen auch gegen ehemalige Zaman-Redakteure vor. Das Blatt war ein Flaggschiff der Gülen-Bewegung, es gehörte zu den auflagenstärksten Zeitungen des Landes, bevor es im März ebenfalls unter staatliche Kuratel gestellt wurde.

Die Hizmet-Bewegung ist ein informelles Netzwerk, es gibt keinen Mitgliedsausweis

Unter den 42 Journalisten befindet sich auch Nazlı Ilıcak, eine prominente, zuletzt regierungskritische Kolumnistin. Sie schrieb unter anderem für Bugün, Ende der Neunziger saß sie für die Tugendpartei im Parlament. Ilıcak war also Abgeordnete jener islamistischen Partei, die 2001 vom türkischen Verfassungsgericht verboten wurde und deren reformorientierter Flügel noch im selben Jahr die deutlich moderatere AKP gründete. Nachdem diese 2002 in die Regierung gewählt worden war, galt Ilıcak lange Jahre als Unterstützerin, Nach dem Korruptionsskandal Ende 2013 jedoch äußerste sie sich zunehmend kritisch und prangerte auf dem Portal T24 die Hatz auf Gülen-Anhänger an.

Inwieweit all diese Journalisten tatsächliche Gülenisten sind, ist unklar. Es gibt keinen Mitgliedsausweis für die Hizmet-Bewegung, es handelt sich um ein informelles Netzwerk. Wer zu den Gülen-Unterstützern zählt, ist nicht ohne Weiteres feststellbar. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass jeder Mitarbeiter einer Gülen-nahen Firma, Zeitung oder Stiftung ein Anhänger im engeren Sinne ist. Ganz zu schweigen von den Abertausenden Absolventen privater Gülen-Schulen: Vielen von ihnen dürfte vor allem an einer guten und bezahlbaren Ausbildung gelegen gewesen sein.

Der türkische Vize-Regierungschef Mehmet Şimşek sagte am Montag der Bild-Zeitung, man habe schon lange vor dem Putschversuch Listen mit Regierungskritikern erstellt, die allesamt der Gülen-Bewegung zuzuordnen seien. Es müssen ellenlange Listen sein - fast täglich werden weitere Verhaftungen oder Entlassungen gemeldet. Am Montag traf es dann auch noch 211 Mitarbeiter der teilstaatlichen Fluglinie Turkish Airlines, angebliche Gülenisten. Wo die Verhaftungswelle als nächstes rollen wird, kündigte der türkische Außenminister am selben Tag an: "Auch auf Botschaftsebene wird es Suspendierungen geben", so Mevlüt Çavuşoğlu.

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