Türkei:Die großen Unbekannten

Die "Freiheitsfalken Kurdistans" bekennen sich zum Anschlag in Ankara. Sind sie Teil der PKK - oder Rivalen?

Von Luisa Seeling

Zu dem Selbstmordanschlag von Sonntag in Ankara mit 37 Toten haben sich die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) bekannt, eine Splittergruppe der verbotenen Kurdenguerilla PKK. Auf ihrer Website teilte TAK am Donnerstag mit, der Angriff sei eine Antwort auf die Offensive der türkischen Armee gegen kurdische Rebellen im Südosten der Türkei. Zivilisten seien nicht das Ziel gewesen, der Anschlag habe den Sicherheitskräften gegolten; es werde aber weitere Anschläge geben, zivile Opfer seien unvermeidbar.

Erstaunlich wenig ist bekannt über die Gruppe, dabei gibt es sie schon seit 2004. Immer wieder hat sie sich zu Anschlägen in Städten und Urlaubsgebieten bekannt, zuletzt zu dem Attentat auf einen Soldatenkonvoi am 17. Februar in Ankara mit 30 Toten. Nach dem Attentat am Sonntag hatten die Sicherheitsbehörden eine Frau als Täterin identifiziert, die der PKK angehören und beim syrischen PKK-Ableger YPG eine "Terrorausbildung" erhalten haben soll. Dass sich TAK nun verantwortlich gezeigt hat, passt für Ankara ins Bild: Die Regierung hält TAK für eine Untergruppe der PKK, sie agiere in deren Auftrag. Der Sicherheitsexperte Metin Gürcan nennt TAK eine "semi-autonome" Organisation, die "unter dem Dach der PKK" operiere. Diese unterstütze TAK ideologisch, logistisch und finanziell, erlaube der Gruppe aber, ihre Anschlagsziele selbstständig zu wählen. Gürcan geht von einer Art Outsourcing aus: Auf diese Weise könne die PKK den Terror in den Westen des Landes tragen und sich zugleich von bestimmten Gewalttaten distanzieren. Andere Beobachter halten TAK dagegen für einen von ehemaligen PKK-Hardlinern gegründeten Rivalen der PKK. TAK selbst betont, eigenständig zu operieren: Man sei nicht von der PKK abhängig, heißt es in der jüngsten Erklärung.

Gegen diese Abgrenzung spricht, dass beide Organisationen das gleiche Ziel verfolgen. TAK bekräftigt, ihr Aktionsfeld umfasse die gesamte Türkei; Cemil Bayık, einer der Anführer der PKK, kündigte unlängst an, der Krieg gegen das Militär sei aus den Bergen in die Städte vorgedrungen, "jetzt wird es überall Kämpfe geben". Strategie der kurdischen Extremisten ist offenbar, den Staat nicht mehr nur im Südosten zu bekämpfen, sondern da zu treffen, wo er besonders verwundbar ist - in den politischen und touristischen Zentren.

Police officers search a car during a security control check in central Ankara

Nach dem Anschlag vom Sonntag kontrolliert die Polizei in Ankara Autos. Über die Gruppe, die sich zu der Tat bekannte, weiß man wenig.

(Foto: Umit Bektas/Reuters)

Im Kampf gegen den Terror kennt Recep Tayyip Erdoğan nur noch schwarz und weiß

Ankara befeuert die Eskalation der Gewalt mit repressiven Maßnahmen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan will die Terrordefinition im türkischen Strafrecht noch weiter fassen, als sie schon formuliert ist. Es bestehe kein Unterschied zwischen bewaffneten Terroristen und jenen, die diesen "ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel" zur Verfügung stellten, sagte er Anfang der Woche. Am Mittwoch setzte er nach: "Wer im Kampf gegen den Terror auf unserer Seite steht, ist unser Freund. Wer auf der anderen Seite steht, ist unser Feind." Begriffe wie Demokratie und Meinungsfreiheit hätten da keinen Wert mehr.

Getreu dieser Parole geht die Verhaftungswelle in dem Land weiter. Festgenommen wird nicht nur, wer der PKK angehört oder Gewalttaten plant; jeder, der mit Kurden sympathisiert, kann in den Verdacht der Terrorpropaganda geraten. Gegen drei Akademiker, die eine Petition zum Frieden in den Kurdengebieten unterzeichnete hatten, wurde Haftbefehl erlassen. Ein britischer Dozent, der seit 25 Jahren in der Türkei lebt und den drei Kollegen am Dienstag im Gerichtssaal beistehen wollte, wurde festgenommen; in seinem Rucksack hatten Wachleute Einladungen zum kurdischen Neujahrsfest gefunden. Die Behörden entschieden, ihn abzuschieben. Derzeit prüft ein Parlamentsausschuss auf Druck des Präsidenten, ob fünf Politiker der prokurdischen Partei HDP ihre Immunität verlieren sollten. Den Abgeordneten wird PKK-Propaganda vorgeworfen.

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