Türkei:Deutsche verhaftet

Die Journalistin aus Ulm arbeitete in Istanbul für linke Medien. Das deutsche Generalkonsulat konnte bisher keinen Kontakt aufnehmen.

Von Stefan Braun und Luisa Seeling, Berlin/München

Die deutsch-türkischen Beziehungen stehen durch eine Festnahme vor der nächsten Belastungsprobe. Wie das Auswärtige Amt am Freitag bestätigte, wurde die deutsche Staatsbürgerin Meşale Tolu am 30. April in ihrer Wohnung in Istanbul festgenommen und eine Woche später in ein Untersuchungsgefängnis verlegt. Nach Medienberichten wird der Mutter eines zweijährigen Sohnes vorgeworfen, sie betreibe Propaganda für Terrororganisationen.

Tolu besitzt nach Angaben ihrer Familie seit 2007 nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft, die türkische legte sie ab. 2014 zog sie nach Istanbul, wo sie für einen inzwischen geschlossenen Radiosender arbeitete. Anschließend war die 33-Jährige für die Nachrichtenagentur Etha tätig, die der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) nahesteht. Türkische Behörden sehen offenbar Verbindungen zur verbotenen Marxistisch-Leninistisch-Kommunistischen Partei (MLKP); das Gericht, das die Untersuchungshaft für Tolu anordnete, berief sich Berichten zufolge auf Tolus Besuch einer Beerdigung zweier MLKP-Mitglieder. Was der Übersetzerin und Journalistin genau vorgeworfen wird, war zunächst unklar; ihre Anwältin und Familie beklagten, ihnen werde Akteneinsicht verwehrt. Tolus Ehemann, der Journalist Suat Çorlu, sitzt seit Anfang April ebenfalls in Untersuchungshaft.

Sechs Deutsche mit türkischen Wurzeln sitzen momentan in der Türkei im Gefängnis

Berlin wurde von türkischer Seite nicht über die Verhaftung informiert, der deutsche Generalkonsul in Istanbul hat bislang keinen Zugang. Beides widerspricht dem völkerrechtlich bindenden "Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen". Entsprechend besorgt und verärgert zeigt sich die Bundesregierung. Der Sprecher von Außenminister Sigmar Gabriel, Martin Schäfer, betonte, das Verhalten sei "besonders bemerkenswert", weil sich Ankara sonst "sehr sorgfältig" an die Gepflogenheiten halte.

Die Haltung der türkischen Behörden erweckt in Berlin den Eindruck, Ankara reagiere so auf die Fälle türkischer Soldaten, die in Deutschland Asyl erhalten haben. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte dies mit scharfen Worten kritisiert. Bemühungen, das Verhältnis wieder zu entspannen, könnten so erschwert oder unmöglich gemacht werden. Erst am Donnerstag war Gabriel am Rande einer Konferenz mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım zusammengekommen. Die beiden haben über Fälle inhaftierter Deutschtürken gesprochen und Schäfer zufolge vereinbart, Versuche zur Entspannung der Beziehungen zu unternehmen. Ob der Fall Tolu angesprochen wurde, konnte Schäfer nicht sagen. Er betonte aber, dass Berlin über "alle diplomatischen Kanäle" darauf dringe, dass der deutsche Generalkonsul Zugang erhalte.

Mit Tolus Verhaftung sitzen nun sechs Deutsche mit türkischen Wurzeln in der Türkei in Haft, vier davon haben beide Pässe. Das gilt auch für den Korrespondenten der Zeitung Die Welt, Deniz Yücel. An dessen Fall übte Schäfer erneut scharfe Kritik. Obwohl Yücel inzwischen fast drei Monate in Einzelhaft sitze, habe man erst ein Mal Zugang zu ihm erhalten, ansonsten sei nichts vorangegangen. "Das ist kein faires und vermutlich auch kein rechtsstaatliches Verfahren".

Entwarnung konnte Gabriels Sprecher immerhin an einer Stelle geben: Das Kind der verhafteten Meşale Tolu sei gut versorgt und in der Obhut ihrer Familie. Zudem werde der kleine deutsche Staatsbürger vom Generalkonsulat betreut.

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