Türkei:Erdoğans Macho-Politik hat die Türkei in ein Absurdistan verwandelt

Türkei: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer Veranstaltung der Regierungspartei AKP in Ankara.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer Veranstaltung der Regierungspartei AKP in Ankara.

(Foto: AP)

Das Männerwort zwischen dem Präsidenten und Gerhard Schröder war gut für Peter Steudtner, nicht für die Glaubwürdigkeit der türkischen Justiz. Ankara muss verstehen, dass Freiheitsrechte nicht verhandelbar sind.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Peter Steudtner kannte die Türkei nicht gut, als er im Juli nach Istanbul flog. Der Kontinent seines Herzens ist Afrika, er hat eine Wahlfamilie in Mosambik. Der Deutsche kennt die Türkei nun besser. Er weiß, wie es sich anfühlt, als Terrorverdächtiger weggesperrt zu werden, ohne Hofgang mit anderen Häftlingen, in Silivri, im größten Gefängnis des Landes.

Er wird dies alles nicht so schnell vergessen. Nicht die Demütigungen, die einer erlebt, dem man ohne Grund die Freiheit raubt, nicht die Verzweiflung. Genau so wenig aber dürfte Peter Steudtner die Türken vergessen, die sein Los teilten: die sich wie er unter allen Umständen für Menschenrechte einsetzen, die bis zur Selbstaufgabe solidarisch sein können.

Gerhard Schröder ist zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gereist

Die Türkei, und das ist das vielleicht Erstaunlichste in diesen harten Zeiten, hat immer noch eine lebendige Zivilgesellschaft, ein Wurzelwerk der Mutigen. Das ist ein Hoffnungszeichen für die Zukunft. Denn es zeigt sich, die Demokratie in der Türkei ist weder mit Putschversuchen noch Präsidentendekreten völlig zu beseitigen. Peter Steudtner aber hat seine Freiheit nun nicht unmittelbar seinen couragierten türkischen Anwälten und den Solidaritätsaktionen seiner neuen türkischen Freunde zu verdanken. Nicht der Druck von unten hat dafür gesorgt, dass ein Istanbuler Gericht ihn gehen ließ, sondern ein Eingriff von oben.

Gerhard Schröder ist zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gereist. Was die beiden miteinander sprachen, ist nicht bekannt. Am Ende war es wohl ein Männerwort, das sie sich gaben, nichts fürs Protokoll - und Richter und Staatsanwalt gaben Steudtner frei. Das ist gut für Steudtner, es ist nicht gut für die Glaubwürdigkeit der türkischen Justiz. Von deren Unabhängigkeit ist so gut wie nichts mehr übrig. Da kommt es auf den Fall Steudtner nicht mehr an.

Für das deutsch-türkische Verhältnis ist der erfolgreiche Einsatz des Alt-Kanzlers aber durchaus von Bedeutung: Weil es hier nun endlich mal etwas Positives zu berichten gibt. Nur lässt sich daraus kein Modell für die Zukunft anfertigen, weil so etwas nicht ständig zu wiederholen ist. Erdoğan macht und versteht Politik nach Macho-Art, doch damit ist kein Staat und keine Außenpolitik zu machen, auch wenn es im Einzelfall mal funktioniert.

Politische Stabilität wird es in der Türkei erst wieder geben, wenn sie nicht mehr in Macho-Manier regiert wird. Dazu müsste sich allerdings die regierende Mehrheitspartei aufraffen - sich ermannen (die Frauen sind in der AKP eindeutig in der Minderheit) - und ihrem Gründer Erdoğan endlich klarmachen, wie weit er schon vom Weg in Richtung Europa abgekommen ist. Und dass der Verlust an Rechtsstaatlichkeit in der Türkei unmittelbar verbunden ist mit ihrem Verlust an Ansehen und Einbußen an wirtschaftlichem Erfolg, auf den die AKP ja stets ihre ganzen Hoffnungen gesetzt hat.

Der Fall zeigt, wie sehr sich das Land in ein Absurdistan verwandelt hat

Der Fall Steudtner eignet sich hierfür durchaus als Lackmus-Test, denn er hat gezeigt, dass sich die Türkei bereits in ein Absurdistan verwandelt hat. Steudtner wurde von den gelenkten türkischen Regierungsmedien nach seiner Festnahme sofort - auf einen Wink von oben - zum Staatsfeind erklärt, für nichts und wieder nichts. Nach der Freilassung und der ungehinderten Ausreise des deutschen "Spions" blieben dieselben Blätter am Freitag stumm. Wer sich da keine Fragen über das Prozedere stellt, muss schon sehr abgestumpft sein.

Zum türkischen Alltag aber gehört es, dass viele Menschen immer weniger wahrnehmen, wie ihr Land im Ausland erscheint. Viele nehmen die Politpropaganda aus Ankara fraglos hin. Empathie für Andersdenkende ist in einer tief gespaltenen Gesellschaft gewöhnlich kein Allgemeingut. Der Putschversuch im vergangenen Juli hat zudem alte Traumata wiederbelebt. Und solange nicht alle Hintergründe dieser seltsamen und blutigen Militärintervention aufgeklärt sind, wird die Türkei ein Land bleiben, in dem Verschwörungstheorien wie Dornengestrüpp wuchern, und die politische Vernunft es schwer hat. Wenn Erdoğan behauptet, die Feinde der Türkei säßen im Westen, wird auch das geglaubt.

Die Türkei international zu isolieren, auch wegen der Menschenrechtsverletzungen, aber würde den Hang zur Irrationalität nur verstärken. Und es würde genau den Mutigen schaden, die sich ein freieres Land wünschen und dafür als "Terrorhelfer" dämonisiert werden - wie Steudtners Mitangeklagte. Sie sind zwar jetzt auch fast alle auf freiem Fuß, was sie womöglich indirekt Schröders Mission zu verdanken haben. Denn die Anklage schert ja alle über einen Kamm.

Nur werden sie am 22. November in Istanbul wieder vor Gericht stehen, und dann wird die Zahl der Prozessbeobachter aus Europa vermutlich nur klein sein. Wenn die acht Angeklagten aber weiter mit dieser absurden Anklageschrift traktiert werden, dann war die Freilassung Steudtners aus der Untersuchungshaft nur dazu da, kurz mal ein bisschen Gutwetter im angespannten deutsch-türkischen Verhältnis zu machen. Nicht mehr.

Deniz Yücel sitzt bereits seit mehr als 250 Tagen in Haft, ohne Anklage

Die türkische Regierung muss verstehen, dass Freiheitsrechte nicht teilbar sind, und auch nicht verhandelbar. Mehr als 250 Tage sitzt der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nun schon in türkischer Haft, ohne Anklage. Ahmet Şık, einer der bekanntesten türkischen Investigativreporter, hat sogar bereits mehr als 300 Tage Haft hinter sich, obwohl er als einer der ersten vor der religiösen Gülen-Bewegung warnte, die Erdoğan doch für den Putschversuch verantwortlich macht. Seit diesem Putschversuch wurden Zehntausende Türken ohne Gerichtserfahren festgenommen. Der Druck auf Ankara, zu rechtsstaatlichen Verfahren zurückzukehren, darf nicht nachlassen - auch von der Bundesregierung nicht.

So lange, bis man in Ankara verstanden hat, dass viele Deutsche erst dann wieder ohne Bangen und mit Freude nach Istanbul reisen werden, wenn sie sicher sind, dass sie im Hotel und nicht im Gefängnis von Silivri landen werden. Und sie werden die Schönheit der Stadt am Bosporus nur dann richtig genießen können, wenn sie wissen, dass auch ihre türkischen Freunde nichts zu befürchten haben.

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