Türkei:Der Schlüsseltag

Seit Montag läuft die Umsetzung des Flüchtlingspakts zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Zum Auftakt des Deals gibt es noch gewisse Unstimmigkeiten.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit hat der türkische Katamaran Nazlı Yale am Montagmorgen den Hafen von Dikili erreicht. An Bord: 136 Flüchtlinge. Und etwa ebenso viele Frontex-Grenzschützer. Journalisten, Kameraleute und einige Bürger bereiteten ihnen im Hafen einen aufmerksamen, für einen Moment sogar warmen Empfang: Auf einem Transparent war zu lesen: "Willkommen Flüchtlinge, die Türkei ist euer Zuhause."

Zu diesem Zeitpunkt war ein zweites Boot noch unterwegs. An diesem Montagmorgen, der in der Geschichte der Flüchtlingskrise als Schlüsseltag eingehen dürfte, bekommen amtlichen Angaben zufolge 202 Migranten eine neue Bleibe. Alles Flüchtlinge, die kein Asyl in Griechenland beantragt hätten. 191 Männer, elf Frauen. Die meisten Migranten stammten aus Pakistan und Afghanistan. Zwei Syrer waren unter den Passagieren - sie hätten sich freiwillig dafür entschieden, versicherten die griechischen Behörden.

Zwei Syrer treten die Rückreise in die Türkei an, 32 besteigen ein Flugzeug in Richtung Deutschland

Der Flüchtlingspakt zwischen der Europäischen Union und der Türkei wird seit Montag umgesetzt, ein Mechanismus greift, der eine große Flüchtlingsverschiebung zur Folge hat. Die Türkei will von nun an alle Flüchtlinge aus Griechenland zurücknehmen, die das Land seit dem 20. März erreicht haben und noch erreichen. Für jeden Syrer darunter kann die Türkei einen Syrer aus ihren Flüchtlingslagern nach Europa schicken. Am ersten Tag des Deals zeigen sich noch gewisse Unstimmigkeiten. Denn fernab der grellen Weltöffentlichkeit, mehr oder weniger unbeobachtet und in Booten, die in der Regel weder Namen haben noch diese verdienen, haben bis zum frühen Montagmorgen 173 Flüchtlinge allein die griechische Insel Lesbos erreicht. Insgesamt meldet der griechische Krisenstab 339 Neuankömmlinge in Griechenland.

202 gehen an diesem Montag. Und 339 Flüchtlinge kommen. Und obwohl nur zwei Syrer die Rückreise in die Türkei antreten, sitzen 32 an diesem Morgen in Flugzeugen in Richtung Hannover. Zumindest Deutschland, dies kann man sagen, tut alles dafür, dass dieser Flüchtlingsdeal ein Erfolg wird. In Griechenland und in der Türkei hat man noch mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen.

Immerhin blieben den Behörden Schreckensbilder erspart. Von einer einigermaßen friedlichen Operation war hinterher die Rede, "sehr ruhig" nannte Frontex den Verlauf des Einsatzes. Bei der Auswahl der ersten Gruppe an Flüchtlingen haben die Behörden alles drangesetzt, dass es nicht zu schlimmen Bildern kommt. Keine Familien. Keine Kinder. Fast nur Männer. Und so gut wie keine Syrer.

Mit dem Bus sind sie morgens die gut sieben Kilometer vom Hotspot Moria aus in den Hafen von Mitilini gebracht worden. Der Katamaran hat den Vorteil, dass niemand während der Fahrt so einfach an Deck kann. Und wer versuchen sollte, ins Wasser zu springen, der hätte auch zunächst einmal an all den Frontex-Leuten im Boot vorbeikommen müssen. So kommen alle Flüchtlinge in Dikili an. Im Hafen stehen Zelte, weil die türkischen Behörden mit dem Bau ihrer Aufnahmecamps in der kurzen Zeit auch nicht fertig geworden sind. Dort geht es zur medizinischen Untersuchung und zum Datenabgleich.

Türkei: Zurück in der Türkei: Flüchtlinge erreichen auf einer Fähre die Insel Izmir, eine Aktivistin protestiert gegen die aus ihrer Sicht ungerechte Aktion.

Zurück in der Türkei: Flüchtlinge erreichen auf einer Fähre die Insel Izmir, eine Aktivistin protestiert gegen die aus ihrer Sicht ungerechte Aktion.

(Foto: AFP/Ozan Kose)

Auf die organisierten Rückführungen wirken weder die griechischen noch die türkischen Behörden am Ende wesentlich besser vorbereitet als auf die Massenflucht der Syrer in den vergangenen Monaten. Der Willkommensgruß am Hafen kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele türkische Küstenbewohner die Flüchtlinge gar nicht aufnehmen wollen. Tourismus und Flüchtlingsnot - das vertrage sich nicht, heißt es jetzt auf türkischer Seite. In der Stadt Çeşme trägt nun ein zentraler Platz mit Zelt, mobilen Toiletten und Zaun drumherum den Namen "Rückführungszentrum". Die Lokalpolitiker versichern: Das ist nur eine Durchgangsstation.

Was mit den Flüchtlingen passieren soll, erklärt der türkische Europaminister Volkan Bozkır: Syrische Flüchtlinge aus Griechenland würden nach Osmaniye gebracht - tief ins Landesinnere, Syrien ist nicht mehr weit. Entlang der Grenze unterhält das Land bereits mehr als 20 Flüchtlingscamps für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Alle anderen kämen in ein Camp nach Kırklareli im Nordwesten der Türkei und sollen früher oder später in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

Auf der griechischen Insel Chios stehen die Behörden vor ganz anderen Problemen. Dort sind mehr als 800 Flüchtlinge aus dem Abschiebezentrum - das ist aus den Hotspots geworden - geflüchtet. Womöglich muss ein Teil von ihnen erst wieder neu registriert werden, bevor sie abgeschoben werden können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: