Türkei:Der halbstarke Mann

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"Wir sind wieder wer", denkt man in der Türkei - Premier Erdogan spricht von einer "neuen Ära". Nun honoriert US-Präsident Obama mit seinem Türkei-Besuch Ankaras Engagement im Mittleren Osten.

K. Strittmatter

Wir sind wieder wer. Das ist die Stimmung in der Türkei vor dem Besuch Obamas. Selbst nach dem Ja in letzter Minute zum neuen Nato-Generalsekretär Rasmussen wird kaum verhohlener Stolz gezeigt. Man hätte meinen können, dass wenigstens die Gegner von Premier Tayyip Erdogan ihm nun vorwerfen, er sei eingeknickt. Weit gefehlt.

Premier Tayyip Erdogan steht in seinem Land hoch im Kurs. (Foto: Foto:)

"Türkei Sieger im Armdrücken", war eine typische Schlagzeile am Sonntag. Mit Genugtuung zählt die Presse die Zugeständnisse auf, die ihre Regierung der Allianz abgetrotzt habe. Drei hohe Posten bei der Nato. Die Schließung des Senders Roj-TV, der von Dänemark aus über Satellit PKK-Propaganda in der Türkei verbreitet. Und nicht zuletzt: Rasmussen, der in Istanbul am Treffen der "Allianz der Zivilisationen" teilnimmt, wolle sich entschuldigen für sein Missmanagement während der Karikaturenkrise 2006.

Wenn das alles wahr ist, dann wäre es tatsächlich Wasser auf die Mühlen Erdogans, der im Januar in bekannt großspuriger Art die Welt wissen ließ, eine "neue Ära" habe begonnen: "Die Türkei ist kein beliebiges Land. Die Türkei ist groß und wichtig."

Da war er gerade nach einem Zornesausbruch gegen Israels Präsidenten Schimon Peres in Davos von der Bühne gestürmt. Danach hatte es weltweit Kritik gehagelt. Und kaum jemand hatte noch daran geglaubt, dass US-Präsident Barack Obama sich die Türkei aussuchen würde für seine mit Spannung erwartete erste Reise in ein vorwiegend muslimisches Land. Als die Türkei dann als Auserwählte verkündet wurde, war die Überraschung erst einmal groß.

Dabei ist es eine einleuchtende Entscheidung. Das seit Davos lauter werdende Geraune, die Türkei sei unter Erdogan auf einem Kurs weg vom Westen, ist ohnehin Unsinn. Richtig dagegen ist, dass die Türkei zum ersten Mal eine von den USA und der Nato unabhängige aktive Außenpolitik betreibt. Dass sie weniger berechenbar geworden ist, ist die eine Folge dieser Politik. Die andere, wichtigere Folge sieht so aus: Die Türkei ist durch ihr Engagement bei den östlichen Nachbarn, im Kaukasus und im Mittleren Osten für die USA - aber auch für Europa - ein wertvollerer Partner geworden.

Das honoriert Obama mit seinem Besuch in den nächsten beiden Tagen. Die USA brauchen die Türkei - in Afghanistan wie in Iran und im Irak. Wenn der amerikanische Truppenabzug aus dem Irak richtig losgeht, soll er zum großen Teil über türkisches Territorium abgewickelt werden.

Und in Iran, Ziel vorsichtiger Annäherungsversuche Obamas, war der türkische Staatspräsident Abdullah Gül soeben zu Gast. Als erstes Oberhaupt eines Nato-Staates war er von Irans geistlichem Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei empfangen worden. George W. Bush noch hatte die türkischen Kontakte zu Iran verdammt, Obama will sie nutzen. Die Türkei wird dafür Obama in die Pflicht nehmen. Den ersten Dienst hat er schon geleistet, als er am Sonntag die EU dazu aufrief, die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen.

© SZ vom 6.4.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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