Türkei:Der ewige Türöffner

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Plötzlich eine Schlüsselfigur: Devlet Bahçeli. (Foto: AFP)

Keiner rechnete mehr mit Devlet Bahçeli, Chef einer Kleinpartei. Nun aber ist er plötzlich eine Schlüsselfigur der türkischen Politik: Er will dem Präsidenten Erdoğan zu mehr Macht verhelfen - und dadurch selbst politisch überleben.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Das bislang letzte Mal, als Devlet Bahçeli dem jetzigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Tür zur Macht öffnete, bekam ihm nicht gut. Seine Partei, die ultranationalistische MHP, brauchte Jahre, um sich davon zu erholen. Damals, 2002, war Bahçeli Regierungsvize unter Ministerpräsident Bülent Ecevit. Bahçeli zog seine MHP überraschend aus einer schwächelnden Koalitionsregierung ab und löste Neuwahlen aus. Die Sieger hießen Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP. Die MHP? Sie wurde von den Wählern zerschmettert, scheiterte an der Zehn-Prozent-Hürde.

Bahçeli ist trotzdem heute noch Parteichef. Es war ein bemerkenswerter Auftritt, als er jetzt neben Binali Yıldırım, Premier und Vollstrecker von Erdoğans Willen, vor die Presse trat - wieder einmal in der Funktion des Türöffners. Dieses Mal geht es um den Wechsel der Türkei zum Präsidialsystem. Erdoğan ist mächtiger geworden, als es ihm die Verfassung erlaubt. In der Regierung glaubt man daher: Nicht Erdoğan muss sich ändern, sondern die Verfassung. Im Parlament fehlen der AKP dafür die Stimmen. Sie kommt auf 316 Stimmen, bräuchte aber 367, um die Verfassung zu ändern. Sie braucht 330, um ihre Ideen dem Volk in einem Referendum vorzulegen. Da kommt Bahçeli ins Spiel. Er hat sich bereit erklärt, Erdoğan zu unterstützen. Nächste Woche soll ein abgestimmter Entwurf für eine neue Verfassung von der AKP ins Parlament eingebracht werden. Bekommt Erdoğan seinen Willen, wird er noch mächtiger. Die Frage lautet: Was hat Bahçeli davon?

Wer sich in der MHP umhört, bekommt gesagt: Es gebe halt nicht nur einen großen Egoisten in der türkischen Politik. Die Ultranationalisten sind zerstritten. Es gibt ein Lager in der Partei, das mit Bahçeli an der Spitze keine Zukunft mehr für die MHP sieht. Im Sommer hat er einen Versuch überstanden, ihn zu stürzen - auch dank türkischer Gerichte, die einen außerordentlichen Parteitag verhinderten. Der Streit hat aber Spuren hinterlassen. Wenn jetzt gewählt würde, müsste die MHP wohl befürchten, wie 2002 aus dem Parlament zu fliegen. Auch die pro-kurdische Partei HDP könnte an der Zehn-Prozent-Hürde scheitern. Für die AKP würde das bedeuten, dass sie nach Neuwahlen sogar die verfassungsändernde Mehrheit erreichen könnte.

Dieser Weg ist aber riskant. Außerdem kann die schwächelnde Wirtschaft nicht auch noch Neuwahlen verkraften. Die türkische Lira fällt. Für einen Euro wurden am Freitag zeitweise 3,76 Lira gezahlt, innerhalb eines Jahrs hat sie mehr als 20 Prozent an Wert verloren. Weniger riskant erscheint es daher, sich für eine Verfassungsänderung einen Partner zu holen. Die MHP und die AKP haben in ihrer Anhängerschaft die größte Schnittmenge. Aus dem Oppositionspolitiker Bahçeli ist eine Schlüsselfigur der türkischen Politik geworden. Eine seiner Bedingungen soll gewesen sein, dass es vor 2019 keine Neuwahl gibt. Er wirkt gesundheitlich angeschlagen. Jetzt einen harten Wahlkampf zu führen, dafür habe er nicht die Kraft, heißt es aus seiner Partei.

Neuwahlen soll es nicht geben, hat Premier Yıldırım gesagt. So kann es passieren, dass nicht nur Erdoğan lange bleibt, sondern auch Bahçeli.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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