Türkei:"Das Blut, die Tränen - das soll nun aufhören"

Lange durfte sich der inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan nicht zu Wort melden. Jetzt erhielt er Besuch von seinem Bruder und nahm die Chance wahr: Er rief zum Frieden auf und sucht den Dialog mit der Regierung.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Erstmals seit der Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei hat sich Abdullah Öcalan, inhaftierter Anführer der als Terrorgruppe eingestuften PKK, an seine Anhänger wenden können. Über seinen Bruder Mehmet, der ihn aus Anlass des beginnenden muslimischen Opferfestes besuchen durfte, rief er zum Frieden auf. "Das Blut, die Tränen, das soll nun aufhören. Ich kann nicht schlafen", teilte der Bruder türkischen Medien zufolge in einer in Diyarbakır verlesenen Nachricht mit. Öcalan habe auch deutlich gemacht, zu neuen Friedensgesprächen mit der türkischen Regierung bereit zu sein.

Im Sommer vergangenen Jahres ist der mehr als zwei Jahre andauernde Friedensprozess zwischen PKK und türkischer Regierung zusammengebrochen. Der 1999 verhaftete PKK-Führer gilt immer noch als Schlüsselfigur zur Beilegung des Konfliktes, in dem seit 1984 mehr als 40 000 Menschen gestorben sind. Zuletzt hatte er sich im Frühjahr 2015 zu Wort melden dürfen; damals appellierte er ebenfalls, den Kampf zu beenden.

Der Vorsitzende der pro-kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, sagte gerade erst in einem Interview mit der SZ, dass nur Öcalan in der Lage sei, die Kämpfer zur Niederlegung der Waffen zu bewegen. Ein Friedensprozess ohne die PKK sei nicht möglich. Die islamisch-konservative AKP- Regierung lehnt allerdings neue Gespräche mit der PKK ab. "Niemand kann das von uns erwarten", sagte Premierminister Binali Yıldırım. Dass die Regierung jedoch dem Bruder erlaubt hat, Öcalan zu besuchen, kommt überraschend.

Der PKK-Chef ließ weiter mitteilen: "Wenn der Staat bereit ist, schickt er zwei Leute hierher. Ja, das ist ein schwerwiegendes Problem, aber unser Plan steht, und wir lösen dieses Problem in sechs Monaten." Es könne keine einseitige Lösung geben. "Wenn in einem Land täglich 40 Menschen sterben, gibt es kein Bayram (Opferfest). Das ist kein Krieg, in dem einer den anderen besiegen kann." Seinem Bruder zufolge kritisierte Öcalan auch die Regierung. Es sei nicht die PKK gewesen, die den Friedensprozess 2015 beendet habe.

Diese Gespräche, die von Recep Tayyip Erdoğan noch in seiner Zeit als Regierungschef angeschoben worden waren, gerieten ins Stocken, als sich im Parlamentswahlkampf 2015 die pro-kurdische HDP offen gegen Erdoğan stellte. Sie kamen völlig zum Erliegen, als PKK-Anhänger zwei Polizisten töteten, die sie für Komplizen des Terroranschlags von Suruç hielten, einer Grenzstadt zu Syrien. Seither eskaliert die Gewalt zwischen dem türkischen Staat und der PKK. Die Terrorgruppe verübt mittlerweile nicht nur Anschläge im Südosten, sondern auch in Istanbul und Ankara. Die Armee geht mit extremer Härte gegen die Kämpfer vor. Das Ziel sei, die PKK auszulöschen. Bei einem Autobomben-Anschlag in der Stadt Van im türkischen Osten wurden am Montag mindestens 48 Menschen verletzt. Die Bombe detonierte vor der dortigen Zentrale der Regierungspartei. Die Behörden machten die PKK verantwortlich.

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