Türkei:Dabeisein ist alles

Ankara dringt auf eine Beteiligung an der Großoffensive auf Mossul und begründet sein Interesse an der Stadt mit einem heiklen Bezug.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Für die Türkei kam es einer Demütigung gleich: Als die Anti-IS-Truppen losmarschierten, um die irakische Stadt Mossul aus den Händen der Terrormiliz IS zu befreien, blieben türkische Soldaten zunächst außen vor. Das war der Wunsch der irakischen Zentralregierung. Ankaras Kämpfer waren nicht erwünscht bei der Operation, die zur Entscheidungsschlacht gegen den sogenannten Islamischen Staat werden könnte. Erst auf Druck der Türken wurde ihnen gestattet, sich mit Kampfflugzeugen zu beteiligen. Dabei betreibt die Türkei einige Kilometer nördlich von Mossul nahe der kleinen Stadt Baschiqa ein Ausbildungscamp für Kämpfer gegen den IS - selbst das gegen den Willen Bagdads, wo man die Türken für Besatzer hält.

Jetzt, wo die Schlacht begonnen hat, soll die Türkei nur zuschauen? Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan holte weit aus, um auszuführen, warum er dies nicht zulassen werde. Eher verstörend dürfte auf die Iraker der geschichtliche Exkurs gewirkt haben - Erdoğan bezog sich auf den "Nationalpakt" aus dem Jahr 1920. Er gilt als Gründungsdokument der Türkischen Republik, in dem sie ihre territorialen Ansprüche anmeldete. Zum angestrebten Staatsgebiet gehörte auch die osmanische Provinz Mossul. In den Verhandlungen zum Vertrag von Lausanne, der die Türkei in ihren heutigen Grenzen anerkannte, konnte sich Ankara aber nicht durchsetzen.

Erdoğan begründet sein Interesse an Mossul historisch - die Iraker dürfte das eher erschrecken

Erdoğan sagt, man müsse den Nationalpakt kennen, um zu verstehen, warum sich die Türkei für Mossul verantwortlich fühle. Zwar beteuert er, dass die Türkei keine Gebietsansprüche erhebe, sein Land sei groß genug. Seit einigen Wochen hat der "Neo-Osmanismus", der die Außenpolitik von Erdoğans islamisch-konservativer AKP-Regierung prägt, aber eine neue Dimension bekommen. Sein Land werde "auf dem Feld kämpfen und am Verhandlungstisch" sitzen, sagte er. Als Beispiel nannte er Syrien, im Norden kämpfen Ankaras Soldaten. Und auch im Irak will sich die Türkei nicht ausbooten lassen.

Das Kampfgeschehen dort hat kurzfristige und langfristige Auswirkungen gerade auf die Türkei. Unmittelbar könnte die Schlacht um Mossul eine neue Flüchtlingswelle auslösen, die die Türkei treffen würde. Das Land hat knapp drei Millionen Syrer aufgenommen, stößt damit an seine Grenzen. Mittel- und langfristig stellt sich in Mossul wie auch in Syrien die Frage, wie in einer möglichen Friedensordnung die Macht zwischen den Bevölkerungsgruppen verteilt werden soll. Im Nordirak kontrollieren die Kurden längst ein eigenes Gebiet. Ankara setzte lange auf Kooperation mit den irakischen Kurden, um ein Überspringen des Autonomiegedankens auf türkisches Gebiet zu verhindern. Doch der Kampf der Kurden gegen den IS im Irak und Syrien und ihre kurzlebigen Allianzen mit sonst verfeindeten Milizen ließen die Türkei argwöhnisch werden. Anderseits hält auch die kurdische Regionalregierung Ankara neuerdings auf Distanz. Nur ganz vorbei an der Türkei, an Erdoğan, kommt im Moment niemand.

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