Türkei:Türkisches Gericht erlässt Haftbefehl gegen Vorsitzende der prokurdischen HDP

  • Ein Gericht in der Türkei hat Haftbefehl gegen den Co-Chef der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, erlassen.
  • Demirtaş und seine Amtskollege Figen Yüksekdağ und neun weitere Parlamentsabgeordnete waren in der Nacht festgenommen worden.
  • Der Zugang zu sozialen Netzwerken ist blockiert.
  • Bei einer Explosion vor einem Polizeigebäude im überwiegend von Kurden bewohnten Diyarbakır sterben mindestens acht Menschen.

Die beiden Vorsitzenden der pro-kurdischen HDP in der Türkei, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, kommen in Untersuchungshaft. Ein Gericht in der Kurdenmetropole Diyarbakır habe Haftbefehl gegen insgesamt fünf HDP-Politiker erlassen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Neben Demirtaş und Yüksekdağ ist unter ihnen auch Fraktionschef Idris Baluken. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Parlamentarier seien unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden, heißt es weiter.

Demirtaş und Yüksekdağ sowie zehn weitere Parlamentarier waren in der Nacht zu Freitag festgenommen worden. Polizisten hätten die Parteichefs im Rahmen einer "antiterroristischen Operation" abgeführt, berichtete Anadolu.

Die Verhaftung

In der Nacht hatten beide Politiker über das soziale Netzwerk Twitter mitteilen lassen, dass die Polizei sich vor ihrer Haustür befinde. Auf einem Video ist zu sehen, wie Polizisten die Tür zur Wohnung von Yüksekdağ aufbrechen. Während der Aufnahme ist eine Stimme zu hören, die sagt: "Brecht die Tür nicht auf. In fünf Minuten ist unser Anwalt hier."

Kurze Zeit später twitterte der offizielle Account der HDP Video-Aufnahmen, auf denen zu sehen sein soll, wie Polizisten in das Hauptstadtbüro der Partei eindringen.

Kati Piri, die Türkei-Beauftragte des EU-Parlaments äußerte Kritik: "Sehr schlechte Nachrichten aus der Türkei. Schon wieder", schrieb sie in einem Tweet.

HDP spricht von "politischer Lynchjustiz"

Gegen Demirtaş und Yüksekdağ liefen bereits seit längerem Ermittlungsverfahren wegen "Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation".

Die HDP (Halkların Demokratik Partisi; Demokratische Partei der Völker) ist die drittstärkste Kraft im türkischen Parlament. Die türkische Regierung wirft der linken Partei vor, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Dieser Darstellung widerspricht die Partei. Politiker genießen in der Türkei Immunität, jedoch wurde diese im Laufe des Jahres für HDP-Politiker aufgehoben.

In der vergangenen Woche hatte ein türkisches Gericht die Co-Parteichefin Yüksekdağ bereits mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde nun den Berichten zufolge in Ankara festgenommen.

Der HDP-Sprecher Ayhan Bilgen nannte bei einer über den Dienst Periscope live übertragenen Stellungnahme die Festnahmen "politische Lynchjustiz". Er rief die Anhänger der Partei zudem zu Solidarität und Protesten auf. Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara verhinderte die Polizei. Diese lasse Journalisten auch mit dem Presseausweis der Regierung nicht durch die Absperrungen an der Zentrale, berichteten mehrere Reporter vor Ort.

Soziale Netzwerke funktionieren nicht mehr

Nach den Festnahmen der Oppositionspolitiker blockierte die türkische Regierung erneut den Zugang zu sozialen Medien. Internetnutzer konnten WhatsApp, Twitter, Facebook, YouTube und andere Netzwerke am Freitag gar nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten erreichen.

Bereits seit Tagen wurde in der Region rund um Diyarbakır der Zugang ins Netz erschwert. Auf Nachfrage von SZ.de vermutete einer der Betreiber der Seite, dass die Ausfälle mit den Festnahmen zusammenhängen: "Das scheint eine neue Entwicklung zu sein. In der Türkei wurde der Zugang ins Internet in den vergangenen anderthalb Jahren nicht mehr im Zusammenhang mit politischen Vorfällen gedrosselt."

Kurden in Deutschland demonstrieren in der Nacht zum Freitag

Bei Kundgebungen in mehreren deutschen Städten haben Kurden in der Nacht gegen die Festnahmen von HDP-Mitgliedern protestiert. In Köln kamen nach Polizeiangaben etwa 150 bis 200 Menschen zusammen, in Hannover sowie Berlin 150 und in Hamburg und Essen waren es rund 100. Auch in Münster, Dortmund, Bremen und Bielefeld versammelten sich Dutzende Demonstranten. Viele Teilnehmer der Demonstrationen seien nach Polizeiangaben aufgebracht gewesen, die Proteste verliefen demzufolge aber friedlich und ohne Störungen.

Tote und Verletzte bei schwerer Explosion in Diyarbakır

Bei der Explosion einer Autobombe vor einem Polizeigebäude in Diyarbakır im Südosten der Türkei sind am frühen Morgen mindestens acht Menschen getötet und mehr als hundert Menschen verletzt worden. Unter den Toten sei auch der Angreifer, sagte der türkische Regierungschef Binali Yıldırım. Er machte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK für die Explosion der Autobombe verantwortlich. Das örtliche Gouverneursbüro teilte mit, die PKK habe sich zu dem Anschlag bekannt.

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